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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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hätte allen Grund gehabt, mir dafür einen hämischen Blick zuzuwerfen, aber er tat es nicht. Er sah mich mit, wie es schien, gelindem höflichen Interesse an. »Drei von euch kommen ungeschoren davon, und der vierte hat Aussicht auf eine Anklage wegen Totschlags statt wegen Mordes. Es war kein Vorsatz: Die Sache ist im Verlauf eines Streites passiert, niemand wollte, dass Lexie stirbt, und ich kann aussagen, dass ihr sie alle gern gehabt habt und dass derjenige, der zugestochen hat, meiner Überzeugung nach unter extremem emotionalen Stress gestanden hat. Totschlag wird vielleicht mit fünf Jahren bestraft, vielleicht sogar weniger. Dann ist die Sache ausgestanden, und ihr könnt alle vier wieder zur Normalität zurückfinden.«
    »Meine juristischen Kenntnisse sind dürftig«, sagte Daniel und bückte sich, um sein Glas aufzuheben, »aber soweit ich weiß – und korrigiere mich, wenn ich mich täusche –, kann etwas, was ein Verdächtiger während der Vernehmung gesagt hat, nicht vor Gericht verwendet werden, wenn er zuvor nicht über seine Rechte belehrt wurde. Aus reiner Neugier, wie willst du drei Leute, die keine Ahnung haben, dass du Polizistin bist, über ihre Rechte belehren?« Er spülte das Glas erneut aus und hielt es ins Licht, überprüfte mit zusammengekniffenen Augen, ob es sauber war.
    »Gar nicht«, sagte ich. »Das ist nicht nötig. Was über mein Mikro auf Band aufgenommen wird, ist vor Gericht nicht zulässig, aber es kann als Grundlage für einen Haftbefehl dienen und es kann in einem offiziellen Verhör verwendet werden. Was glaubst du, wie lange Justin durchhält, wenn er mitten in der Nacht verhaftet und vierundzwanzig Stunden lang von Frank Mackey verhört wird, während im Hintergrund ein Band läuft, auf dem er Lexies Ermordung schildert?«
    »Interessante Frage«, sagte Daniel. Er drehte den Verschluss der Whiskeyflasche zu, stellte sie behutsam auf die Bank neben das Glas.
    Mein Herz trommelte wie Hufschläge. »Setz niemals alles, wenn du ein schlechtes Blatt in der Hand hast«, sagte ich, »es sei denn, du bist dir absolut sicher, dass du besser spielst als dein Gegner. Wie sicher bist du dir?«
    Er warf mir einen unbestimmten Blick zu, der alles hätte bedeuten können. »Wir sollten jetzt reingehen«, sagte er. »Ich schlage vor, wir erzählen den anderen, wir hätten den ganzen Nachmittag gelesen und unseren Kater auskuriert. Ist das in etwa in deinem Sinne?«
    »Daniel«, sagte ich, und dann schnürte sich mir die Kehle zu. Ich konnte kaum atmen. Erst als er nach unten blickte, merkte ich, dass meine Hand auf seinem Ärmel lag.
    »Detective«, sagte Daniel. Er lächelte mich an, nur ein wenig, aber seine Augen waren ganz ruhig und sehr traurig. »Du kannst nicht beides haben. Weißt du nicht mehr, vorüber wir vorhin gesprochen haben – dass Opfer unvermeidlich sind? Einer von uns oder Detective: Du kannst nicht beides sein. Wenn du wirklich zu uns gehören wolltest, wenn du es mehr als alles andere gewollt hättest, dann hättest du nicht einen einzigen von diesen Fehlern gemacht, und wir säßen jetzt nicht hier.«
    Er nahm meine Hand von seinem Ärmel und legte sie mir auf den Schoß, ganz sacht. »Weißt du, in gewisser Weise«, sagte er, »so seltsam und unmöglich es auch klingen mag, wünschte ich sehr, du hättest dich anders entschieden.«
    »Ich will euch nicht zerstören«, sagte ich. »Ich kann unmöglich sagen, dass ich auf eurer Seite bin, aber im Vergleich zu Detective Mackey oder auch Detective O’Neill … Wenn es ihnen überlassen bleibt – und falls wir beide nicht zusammenarbeiten, dann wird es so kommen, sie leiten schließlich die Ermittlung, nicht ich –, dann sitzt ihr alle vier die Höchststrafe wegen Mordes ab. Lebenslänglich. Daniel, ich tue hier mein Bestes, um das zu verhindern. Ich weiß, es sieht nicht so aus, aber ich tue wirklich, was ich kann.«
    Ein Blatt war von dem Efeu ins Wasser gefallen und blieb an einer der kleinen Stufen hängen, tanzte in der Strömung. Daniel nahm es vorsichtig heraus und drehte es zwischen den Fingern. »Ich hab Abby kennengelernt, als ich am Trinity anfing«, sagte er. »Gleich am ersten Tag, bei der Immatrikulation. Wir waren in der Exam Hall, Hunderte Studenten, die stundenlang Schlange standen – ich hatte nichts zu lesen dabei, weil ich nicht damit gerechnet hatte, dass es so lange dauern würde –, standen uns unter all den düsteren alten Gemälden die Beine in den Bauch, und aus irgendeinem Grund haben

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