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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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gewesen, hätte mich ein paar Stunden später eine düstere Fahrt nach Hause und eine Fahrkarte zu einem Schreibtisch in der tiefsten Provinz erwartet.
    »Es mag sich absurd anhören«, sagte Daniel gelassen, »aber ich würde gern die angebliche Stichwunde sehen. Einfach um mich zu beruhigen, dass du wirklich die bist, die du behauptest zu sein.«
    »Klar«, sagte ich munter, »kein Problem«, und sah das verdutzte Flackern in seinen Augen. Ich zog mein Pyjamaoberteil hoch und zupfte den Verband ab, damit er die Akkus und den rausgezogenen Stecker sah.
    »Netter Versuch«, sagte ich, »aber keine Chance. Und selbst wenn du es schaffst, mich abziehen zu lassen, meinst du, dann gehe ich wortlos? Ich habe nichts zu verlieren. Auch wenn mir nur fünf Minuten bleiben, die Zeit reicht, um den anderen zu sagen, wer ich bin und dass du das seit Wochen weißt. Was glaubst du wohl, wie gut das ankommt, sagen wir bei Rafe?«
    Daniel beugte sich vor, um das Mikro in Augenschein zu nehmen. »Aha«, sagte er. »Na, es war den Versuch wert.«
    »Meine Zeit, die mir für den Fall zur Verfügung steht, ist ohnehin fast abgelaufen«, sagte ich. Ich sprach schnell: Frank war bestimmt gleich misstrauisch geworden, als er nichts mehr hören konnte, ich hatte höchstens noch eine Minute, bis er an die Decke ging. »Mir bleiben nur noch ein paar Tage. Aber die will ich haben. Wenn du versuchst, sie mir wegzunehmen, geh ich mit Pauken und Trompeten. Wenn nicht, hast du noch eine gute Chance, dass ich nichts Belastendes herausfinde, und wir können die Sache so drehen, dass die anderen nie erfahren, wer ich war.«
    Er betrachtete mich ausdruckslos, die großen kantigen Hände ordentlich im Schoß gefaltet. »Meine Freunde sind meine Verantwortung. Ich werde nicht tatenlos zusehen, wie du sie beiseitenimmst, um sie auszufragen.«
    Ich zuckte die Achseln. »In Ordnung. Dann versuch mich dran zu hindern, so gut du kannst. Ist dir ja vorhin auch nicht schwergefallen. Aber vermassel mir die letzten Tage nicht. Abgemacht?«
    »Wie viele Tage«, fragte Daniel, »genau?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nicht Teil der Abmachung. In gut zehn Sekunden stöpsel ich das Mikro wieder ein, damit es sich so anhört, als wäre die Verbindung aus Versehen unterbrochen, und wir halten ein harmloses Schwätzchen darüber, warum ich beim Abendessen mies gelaunt war. Okay?«
    Er nickte geistesabwesend, inspizierte noch immer das Mikro. »Super«, sagte ich. »Los geht’s. Ich will« – ich stöpselte den Stecker mitten im Satz wieder ein, damit es realistischer klang –«lieber nicht drüber reden. Mir tut der Kopf tierisch weh, ich fühl mich insgesamt zum Kotzen, ich will einfach in Ruhe gelassen werden. Okay?«
    »Du hast wahrscheinlich bloß einen Kater«, sagte Daniel brav. »Du verträgst nun mal keinen Rotwein, das weißt du doch.«
    Irgendwie hörte sich alles nach einer Falle an. »Kann sein«, sagte ich, zuckte genervt mit den Schultern, wie ein Teenager, und klebte den Verband wieder fest. »Oder es kommt von dem Punsch. Rafe hat bestimmt Meth untergemischt. Er trinkt in letzter Zeit viel mehr, findest du nicht?«
    »Rafe geht’s gut«, sagte Daniel kühl. »Und dir hoffentlich auch, wenn du dich erst mal richtig ausgeschlafen hast.«
    Rasche Schritte eine Etage tiefer und eine Tür, die aufging. »Lexie?«, rief Justin nervös die Treppe herauf. »Alles in Ordnung?«
    »Daniel geht mir auf den Wecker«, rief ich zurück.
    »Daniel? Womit gehst du ihr auf den Wecker?«
    »Tu ich ja gar nicht.«
    »Er will wissen, warum ich mich beschissen fühl«, rief ich. »Ich fühl mich beschissen, weil ich mich nun mal so fühle, und ich will, dass er mich in Frieden lässt.«
    »Du fühlst dich beschissen, weshalb?« Justin war aus seinem Zimmer gekommen, stand jetzt unten an der Treppe. Ich konnte ihn mir bildhaft vorstellen, in seinem gestreiften Pyjama, eine Hand am Treppengeländer und kurzsichtig nach oben spähend. Daniel betrachtete mich mit einem aufmerksamen nachdenklichen Blick, der mich furchtbar nervös machte.
    »Ru-he!«, brüllte Abby, so wütend, dass wir sie durch ihre Tür hören konnten. »Es gibt hier Menschen, die versuchen zu schlafen.«
    »Lexie? Weshalb fühlst du dich beschissen?«
    Ein dumpfer Knall: Abby hatte irgendetwas geworfen. »Justin, ich habe gesagt, Ru- he! Verdammt! «
    Vom Erdgeschoss her war schwach Rafes Stimme zu hören. Er rief irgendetwas Gereiztes, das sich anhörte wie »Was zum Henker ist da oben los?«.
    »Ich

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