Totengleich
komm runter und erklär’s dir, Justin«, rief Daniel. »Alle wieder ins Bett.« Zu mir: »Gute Nacht.« Er stand auf und strich die Bettdecke wieder glatt. »Schlaf gut. Ich hoffe, morgen geht’s dir wieder besser.«
»Ja«, sagte ich. »Danke. Rechne eher nicht damit.«
Der gleichmäßige Rhythmus seiner Schritte auf dem Weg nach unten, dann gedämpfte Stimmen unter mir: Zuerst überwiegend Justin mit kurzen Einwürfen von Daniel, dann kehrte sich das Verhältnis langsam um. Ich stand auf, vorsichtig, und legte das Ohr auf den Fußboden, aber sie sprachen fast im Flüsterton, und ich konnte kein Wort verstehen.
Zwanzig Minuten vergingen, bis Daniel wieder die Treppe hochkam, leise, und dann einige lange Sekunden im Flur stehen blieb. Ich begann erst zu zittern, als die Tür seines Zimmers sich hinter ihm schloss.
Ich blieb in dieser Nacht stundenlang wach, blätterte Seiten um und tat, als würde ich lesen, raschelte mit der Bettwäsche und atmete tief und tat so, als würde ich schlafen, wobei ich zwischendurch immer mal wieder für ein paar Sekunden oder Minuten das Mikro ausstöpselte. Ich glaube, ich schaffte es einigermaßen, einen durch meine Bewegungen erzeugten Wackelkontakt vorzutäuschen, aber es beruhigte mich nicht. Frank ist alles andere als blöd, und er war nicht in der Stimmung, mir noch einen Vertrauensbonus zu gewähren.
Frank zu meiner Linken, Daniel zu meiner Rechten, und ich mit Lexie mittendrin. Während ich weiter Stecker-raus-Stecker-rein spielte, vertrieb ich mir die Zeit damit, nach einer Erklärung zu suchen, wie es logistisch möglich war, dass ich absolut jeden gegen mich aufgebracht hatte, der mit diesem Fall zu tun hatte, selbst Leute eingeschlossen, die gegeneinander aufgebracht waren. Ehe ich endlich einschlief, holte ich den Stuhl von Lexies Frisierkommode, zum ersten Mal seit Wochen, und klemmte ihn unter die Türklinke.
Der Samstag verging schnell, in ohnmächtiger, düsterer Benommenheit. Daniel hatte beschlossen – zum Teil vermutlich, weil die Arbeit am Haus sie immer beruhigte, und zum Teil, um alle in einem Raum zu haben und im Blick behalten zu können –, an dem Tag Fußböden abzuschleifen: »Ich finde, wir haben das Esszimmer vernachlässigt«, verkündete er beim Frühstück. »Jetzt, wo wir das Wohnzimmer fertig haben, sieht es richtig schäbig aus. Wir sollten heute anfangen, es auf Vordermann zu bringen, denke ich. Was meint ihr?«
»Gute Idee«, sagte Abby, während sie Eier auf seinen Teller rutschen ließ und ihn müde, aber entschlossen zuversichtlich anlächelte. Justin zuckte die Achseln und stocherte weiter an seiner Toastscheibe herum. Ich sagte »Von mir aus« in die Bratpfanne. Rafe nahm seinen Kaffee und ging ohne ein Wort. »Gut«, sagte Daniel gleichmütig und widmete sich wieder seinem Buch. »Also abgemacht.«
Der Rest des Tages verlief in etwa so quälend, wie ich erwartet hatte. Der friedensstiftende Zauber hatte anscheinend seinen freien Tag. Rafe erging sich in stummer Stinkwut auf die ganze Welt und knallte andauernd mit der Schleifmaschine gegen die Wände, so dass alle zusammenschreckten, bis Daniel sie ihm wortlos aus den Händen nahm und ihm stattdessen ein Stück Schmirgelpapier reichte. Ich drehte meine Schmolllaune auf volle Lautstärke und hoffte, dass sie sich irgendwie auf irgendwen auswirkte und ich früher oder später – nicht zu spät – eine Möglichkeit finden würde, sie einzusetzen.
Draußen vor den Fenstern regnete es, ein dünner Depri-Regen. Wir sprachen kein Wort. Ein- oder zweimal sah ich, wie Abby sich übers Gesicht wischte, aber da sie uns die ganze Zeit den Rücken zudrehte, konnte ich nicht sagen, ob sie weinte oder bloß gegen den Schleifstaub kämpfte. Das Zeug war überall, es drang uns in die Nase, in den Kragen, setzte sich in die Hautporen der Hände. Justin keuchte demonstrativ und kriegte dramatische Hustenanfälle in ein Taschentuch, bis Daniel die Schleifmaschine abschaltete, aus dem Raum ging und mit einer uralten, scheußlichen Gasmaske wiederkam, die er Justin schweigend hinhielt. Niemand lachte.
»In den Dingern ist Asbest«, sagte Rafe, der wild an einer schwierigen Bodenecke herumschmirgelte. »Willst du ihn wirklich umbringen oder tust du nur so?«
Justin bedachte die Maske mit einem entsetzten Blick. »Ich will keinen Asbest einatmen.«
»Wenn du dir lieber dein Taschentuch vor den Mund bindest«, sagte Daniel, »dann mach das gefälligst. Aber hör auf rumzustöhnen.« Er drückte
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