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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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mit auf meinen Stuhl quetschen und ein paar Bissen von meinem Toast klauen konnte. Tautropfen rannen an den Fensterscheiben herab, und die Kaninchen – sie wurden frecher und wagten sich jeden Tag näher – mümmelten draußen das Gras.
    Irgendetwas hatte sich im Laufe der Nacht verändert. Die zackigen Schnittkanten zwischen den vieren waren glatter geworden, sie gingen sanft miteinander um, behutsam, fast zärtlich. Manchmal frage ich mich, ob sie sich mit diesem Frühstück so große Mühe gaben, weil sie es auf irgendeiner Ebene, die tiefer und sicherer war als Logik, schon wussten.
    »Wir müssen los«, sagte Daniel schließlich. Er klappte sein Buch zu, legte es auf die Arbeitsplatte. Ich spürte, wie ein Atemhauch, irgendwo zwischen einem Keuchen und einem Seufzer, um den Tisch lief. Rafes Brust hob sich einmal rasch an meiner Schulter.
    »Ja«, sagte Abby leise, fast zu sich selbst. »Bringen wir’s hinter uns.«
    »Ich würde gern was mit dir besprechen, Lexie«, sagte Daniel. »Wie wär’s, wenn wir zwei zusammen in die Stadt fahren?«
    »Was denn besprechen?«, fragte Rafe barsch. Seine Finger gruben sich in meinen Arm.
    »Wenn es dich was anginge«, sagte Daniel und brachte seinen Teller zur Spüle, »hätte ich dich gebeten, mit uns zu fahren.« Die zackigen Schnittkanten traten schlagartig und scharf wieder hervor und zerteilten die Luft.
    »So«, sagte Daniel, als er seinen Wagen vors Haus gefahren hatte und ich neben ihm eingestiegen war, »da wären wir.«
    Irgendetwas Rauchiges schlängelte sich durch mich hindurch: eine Warnung. Es lag daran, dass er nicht mich ansah, sondern zum Fenster hinausschaute, zu dem Haus im kühlen Morgendunst, zu Justin, der die Windschutzscheibe seines Wagens penibel mit einem gefalteten Lappen abwischte, und zu Rafe, der die Treppe heruntergeschlurft kam, das Kinn tief in seinem Schal vergraben. Es lag an dem Ausdruck in seinem Gesicht, angespannt und nachdenklich und auch ein kleines bisschen traurig.
    Ich hatte keine Ahnung, wie weit dieser Mann gehen würde, wo seine Grenze war, ob er überhaupt eine hatte. Mein Revolver steckte hinter Lexies Nachttisch – im Morddezernat gibt es einen Metalldetektor. Nur während der Fahrt in die Stadt und zurück, hatte Frank gesagt, haben wir keinen Empfang.
    Daniel lächelte, ein kleines vertrauliches Lächeln, hinauf in den diesigen blauen Himmel. »Es wird ein schöner Tag«, sagte er.
    Ich war drauf und dran, aus dem Wagen zu springen, zu Justin hinüberzustapfen und ihm zu sagen, Daniel sei ein Ekel und ich wolle mit ihm und den anderen fahren – die ganze Woche hatten sich alle nur gegenseitig angegiftet, es hätte also niemanden stutzig gemacht –, als die Tür hinter mir aufflog und Abby auf die Rückbank rutschte, mit roten Wangen und zerzaustem Haar, ein Wirbel aus Handschuhen und Mütze und Mantel. »Hey«, sagte sie und knallte die Tür zu. »Kann ich mit euch fahren?«
    »Klar«, sagte ich. Selten war ich so froh gewesen, jemanden zu sehen.
    Daniel drehte sich um und sah sie über die Schulter an. »Ich dachte, wir hätten gesagt, dass du mit Justin und Rafe fährst.«
    »Du spinnst wohl. Bei der Laune, die die haben? Da könnte ich auch mit Stalin und Pol Pot fahren, das wäre wahrscheinlich lustiger.«
    Unversehens lächelte Daniel sie an, ein richtiges Lächeln, warm und belustigt. »Die beiden sind lächerlich. Ja, überlassen wir sie sich selbst. Ein oder zwei Stunden allein zusammen in einem Auto ist vielleicht genau das, was sie brauchen.«
    »Vielleicht«, sagte Abby wenig überzeugt. »Oder aber sie bringen sich gegenseitig um.« Sie holte eine Klappbürste aus ihrer Umhängetasche und attackierte ihr Haar. Vor uns fuhr Justin ruckartig und gereizt an und brauste viel zu schnell die Einfahrt hinunter.
    Daniel streckte eine Hand mit der Handfläche nach oben über seine Schulter, zu Abby hin. Er sah sie nicht an, auch mich nicht, er starrte mit leerem Blick durch die Windschutzscheibe auf die Kirschbäume. Abby ließ die Bürste sinken und legte ihre Hand in seine, drückte sie. Sie ließ erst los, als Daniel seufzte, seine Hand sanft aus ihrer löste und den Wagen startete.

22
    Frank, dieses Oberarschloch, bugsierte mich in einen Verhörraum (»Es ist gleich jemand bei Ihnen, Miss Madison«) und ließ mich volle zwei Stunden warten. Es war nicht mal einer von den guten Verhörräumen, mit Wasserspender und bequemen Stühlen, es war der schäbige kleine, der mit dem Charme einer Arrestzelle, der, den

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