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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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knappen Nicken. »Also schön«, sagte er. »Wir machen Folgendes. Die Emotionen schlagen bei uns allen ganz schön hoch« – Rafe verdrehte die Augen und machte ein angewidertes Geräusch; Daniel ging nicht auf ihn ein –, »und ich glaube, es wäre fruchtlos, diese Diskussion im Augenblick fortzusetzen. Lassen wir das Ganze ein paar Tage sacken, bis die Wogen sich geglättet haben, und dann reden wir noch einmal drüber.«
    Sobald ich und mein Mikro aus dem Haus waren. Ehe ich etwas sagen konnte, fragte Rafe: »Warum?« Da war etwas in der Art, wie er den Kopf rollte und langsam die Augenlider hob, als er sich umdrehte, um Daniel anzustarren: Mir wurde schlagartig klar, mit einem vagen, formlosen Gefahrengefühl, wie betrunken er tatsächlich war.
    Ich sah, dass Daniel es ebenfalls bemerkte. »Wenn du das Ganze lieber nicht wieder aufwärmen willst«, sagte er unterkühlt, »glaub mir, ich hab nichts dagegen. Ich wäre froh, wenn ich nie wieder darüber nachdenken müsste.«
    »Nein. Warum sacken lassen?«
    »Hab ich doch gesagt. Weil ich glaube, dass keiner von uns in der Verfassung ist, rational darüber zu reden. Es war ein ermüdend langer Tag –«
    »Und wenn es mir scheißegal ist, was du glaubst?«
    »Ich bitte euch«, sagte Daniel, »mir zu vertrauen. Ich bitte euch nicht oft um was. Bitte tut mir diesen Gefallen.«
    »Ich finde«, sagte Rafe, »du hast uns in letzter Zeit reichlich viel Vertrauen abverlangt.« Er stellte sein Glas mit einem durchdringenden Klacken auf den Tisch.
    »Kann sein«, sagte Daniel. Für den Bruchteil einer Sekunde sah er abgespannt aus, völlig ausgelaugt, und ich fragte mich, wie Frank es geschafft hatte, ihn so lange festzuhalten, worüber sie gesprochen hatten, zu zweit allein in einem Raum. »Aber dann kommt’s auf ein paar Tage mehr doch auch nicht mehr an, oder?«
    »Da du lange genug hinter der Tür gelauscht hast wie eine tratschige Hausfrau, müsstest du jetzt eigentlich wissen, wie es um mein Vertrauen zu dir bestellt ist. Was, befürchtest du, wird passieren, wenn wir weiter drüber reden? Hast du Angst, dass Lexie nicht die Einzige sein wird, die gehen will? Was machst du dann, Daniel? Wie viele von uns bist du bereit, sterben zu lassen?«
    »Daniel hat recht«, sagte Abby forsch. Daniels Rückkehr hatte sie beruhigt: Ihre Stimme klang wieder energisch, sicher. »Wir können alle nicht klar denken und reden nur wirres Zeug. In ein paar Tagen –«
    »Im Gegenteil«, sagte Rafe. »Ich glaube, ich rede zum ersten Mal seit Jahren Klartext.«
    »Lass gut sein«, sagte Justin, fast im Flüsterton. »Bitte, Rafe. Lass gut sein.«
    Rafe hörte ihn nicht mal. »Auch wenn du jedes Wort aus seinem Mund für das Evangelium hältst, Abby. Auch wenn du angelaufen kommst, sobald er nur mit den Fingern schnippt. Glaubst du, es interessiert ihn, dass du ihn liebst? Das ist ihm total egal. Er würde dich entsorgen, ohne mit der Wimper zu zucken, wenn er müsste. Genau wie er bereit war –«
    Endlich verlor Abby die Beherrschung. »Leck mich, du selbstgefälliger, verdammter –« Sie schoss aus ihrem Sessel hoch und schleuderte die Puppe auf Rafe, mit einer schnellen, heftigen Bewegung. Rafe riss reflexartig einen Unterarm hoch und schlug sie weg, in eine Ecke. »Ich hab dich gewarnt. Was ist denn mit dir? Du benutzt Justin, wenn du ihn brauchst – meinst du, ich hab nicht gehört, dass er in der Nacht nach unten gegangen ist? Dein Zimmer ist unter meinem, du Genie. Und dann, wenn du ihn nicht mehr brauchst, behandelst du ihn wie den letzten Dreck, brichst ihm immer wieder das Herz –«
    »Hört auf!«, schrie Justin. Er hatte die Augen fest zusammengepresst und hielt sich die Ohren zu, das Gesicht qualvoll verzerrt. »Bitte, hört auf, hört auf –«
    Daniel sagte: »Das reicht jetzt.« Seine Stimme wurde lauter.
    »Nein, tut es nicht!«, brüllte ich über alle hinweg. Ich war die ganze Zeit still gewesen, hatte ihnen freien Lauf gelassen und auf den passenden Augenblick gewartet, und jetzt verstummten alle jäh, fuhren herum und starrten mich an, blinzelten, als hätten sie fast vergessen, dass ich da war. »Es reicht nicht. Ich will es nicht gut sein lassen.«
    »Warum nicht?«, fragte Daniel. Er hatte seine Stimme wieder im Griff. Diese vollkommene, unerschütterliche Gelassenheit hatte sich sofort über sein Gesicht gesenkt, als ich den Mund öffnete. »Gerade von dir hätte ich gedacht, dass du am liebsten so schnell wie möglich wieder zur Normalität zurückkehren

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