Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
Vom Netzwerk:
hab den Mund gehalten, weil ich dachte, vielleicht hast du ja recht, vielleicht bin ich ihm was schuldig, aber jetzt … Ich hab einfach die Schnauze voll von diesem Haus. Noch so eine von Daniels genialen Ideen, und was hat sie uns gebracht? Justin ist ein nervliches Wrack, du bist die größte Verdrängungskünstlerin aller Zeiten, ich saufe wie mein Vater, Lexie wäre fast gestorben, und die meiste Zeit streiten wir uns wie die Kesselflicker. Alles nur wegen dieses gottverdammten Hauses.«
    Abbys Kopf fuhr hoch, und sie starrte ihn an. »Das ist nicht Daniels Schuld. Er wollte bloß –«
    »Er wollte was, Abby? Was? Was glaubst du wohl, warum er uns alle an dem Haus beteiligt hat?«
    »Weil«, sagte Abby, leise und gefährlich, »er uns mag. Weil er gedacht hat, egal, ob er damit richtiggelegen hat oder nicht, das wäre die beste Voraussetzung für uns alle fünf, glücklich zu sein.«
    Ich rechnete damit, dass Rafe auch darüber lachen würde, aber er tat es nicht. »Weißt du«, sagte er nach einem Augenblick, den Blick starr in sein Glas gerichtet, »das hab ich am Anfang auch gedacht. Ehrlich. Dass er das gemacht hat, weil er uns mag.« Der grimmige Unterton war aus seiner Stimme gewichen; übriggeblieben war eine schlichte, müde Melancholie. »Es hat mich glücklich gemacht, das zu denken. Es gab mal eine Zeit, da hätte ich alles für Daniel getan. Alles.«
    »Und dann ist dir ein Licht aufgegangen«, sagte Abby. Ihr Stimme war hart und spröde, aber sie konnte das Zittern darin nicht unterdrücken. Sie war aufgewühlter, als ich sie je erlebt hatte, noch aufgewühlter als in dem Augenblick, als ich von dem Zettel in der Jackentasche angefangen hatte. »Jemand, der seinen Freunden ein Haus überschreibt, das eine siebenstellige Summe wert ist, kann das natürlich nur aus rein eigennützigen Gründen tun. Wie paranoid ist das denn?«
    »Ich hab darüber nachgedacht. Ich hab viel darüber nachgedacht in den letzten Wochen. Ich wollte nicht – wirklich nicht … aber ich konnte nicht anders. Wie wenn man was zwischen den Zähnen hat und dauernd mit der Zunge drangeht.« Rafe blickte zu Abby auf, schüttelte sich das Haar aus dem Gesicht. Der Alkohol tat seine Wirkung, und seine Augen waren gerötet und verquollen, als hätte er geweint. »Mal angenommen, wir wären alle an verschiedenen Unis gelandet, Abby. Mal angenommen, wir hätten uns nie kennengelernt. Was glaubst du, würden wir jetzt machen?«
    »Ich habe nicht die leiseste Ahnung, worauf du hinauswillst.«
    »Wir würden klarkommen, wir vier. Vielleicht wären die ersten paar Monate schwierig geworden, vielleicht hätten wir eine Weile gebraucht, um Leute kennenzulernen, aber wir hätten welche kennengelernt. Ich weiß, wir sind alle nicht von der kontaktfreudigen Sorte, aber wir hätten es gepackt. Weil das eben so läuft an der Uni, man lernt, wie man sich in der großen, beängstigenden Welt bewegt. Wir hätten inzwischen Freunde, ein Sozialleben –«
    »Ich nicht«, sagte Justin leise und endgültig. »Ich würde nicht klarkommen. Nicht ohne euch.«
    »Doch, würdest du, Justin. Wirklich. Du hättest einen Freund – du auch, Abby. Nicht bloß hin und wieder jemanden fürs Bett oder zum Anlehnen. Einen richtigen Freund. Einen Partner.« Er lächelte mich traurig an. »Bei dir bin ich mir nicht so sicher, du kleine Zicke. Aber du kämst bestimmt auf deine Kosten, so oder so.«
    »Danke, dass du dich um unser Liebesleben sorgst«, sagte Abby kalt, »du arrogantes Arschloch. Nur weil Justin keinen Partner hat, ist Daniel noch längst nicht der Antichrist.«
    Rafe sprang nicht darauf an, und aus irgendeinem Grund machte mir das Angst. »Nein«, sagte er. »Aber überleg doch mal kurz. Wenn wir uns nie begegnet wären, was glaubst du, würde Daniel jetzt machen?«
    Abby starrte ihn ausdruckslos an. »Das Matterhorn besteigen. In die Politik gehen. Hier leben. Was weiß denn ich?«
    »Kannst du dir vorstellen, dass er zur Erstsemesterparty geht? Sich irgendeiner Studentengruppe anschließt? Im Seminar über amerikanische Lyrik eine Kommilitonin anquatscht? Im Ernst, Abby. Verrat’s mir. Kannst du dir das vorstellen?«
    »Ich weiß es nicht. Wenn, wenn, wenn, Rafe. Wir haben uns nun mal kennengelernt. Ich hab keine Ahnung, was passiert wäre, wenn alles anders gelaufen wäre, weil ich nicht hellsehen kann, und du auch nicht.«
    »Vielleicht nicht«, sagte Rafe, »aber eins weiß ich sicher: Daniel hätte nie im Leben gelernt, mit der Außenwelt

Weitere Kostenlose Bücher