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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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würgte Byrne den Wagen ab und fluchte unwirsch.
    Alle hassen das DIA – das Rattendezernat, wie es genannt wird, die Verräter und diverse andere wenig schmeichelhafte Dinge –, aber zu mir waren sie nett, zumindest an diesem Tag. Sie waren sachlich und professionell und sehr freundlich, wie Krankenschwestern, die bei einem Patienten, der einen furchtbaren, entstellenden Unfall hatte, ihre eingespielten Rituale durchgehen. Sie nahmen meine Dienstmarke an sich – »für die Dauer der Untersuchung«, sagte jemand beruhigend. Es war ein Gefühl, als hätten sie mir den Kopf geschoren. Sie zogen mir den Verband ab und entfernten das Mikro. Sie behandelten meinen Revolver wie Beweismaterial, was er natürlich auch war, behutsame Latexfinger ließen ihn in einen Beweismittelbeutel fallen, den sie versiegelten und mit akkurater Markerschrift etikettierten. Eine Kriminaltechnikerin, die einen glatten braunen Haarknoten trug wie eine viktorianische Zofe, stach mir eine Nadel in den Arm, gekonnt, und nahm eine Blutprobe, um sie auf Alkohol und Drogen zu testen. Mir fiel vage ein, dass Rafe mir etwas eingeschenkt hatte, und ich erinnerte mich an die glatte Kühle des Glases, aber nicht daran, auch nur einen einzigen Schluck getrunken zu haben, und das stufte ich als etwas Gutes ein. Sie untersuchte meine Hände auf Schmauchspuren, und mir fiel auf, so als würde ich jemand anderen aus weiter Entfernung beobachten, dass meine Hände nicht zitterten, sie waren völlig ruhig, und dass meine Handgelenkknochen nach einem Monat Whitethorn-House-Essen nicht mehr so spitzig aussahen. »So«, sagte die Technikerin beruhigend, »kurz und schmerzlos«, aber ich war damit beschäftigt, auf meine Hände zu starren, und erst Stunden später, als ich auf einem neutralfarbenen Sofa in der Eingangshalle unter unverfänglicher Kunst saß und darauf wartete, dass irgendjemand kam, um mich irgendwo anders hinzubringen, wurde mir klar, wo ich den Tonfall schon mal gehört hatte: aus meinem eigenen Mund. Nicht wenn ich mit Opfern sprach, mit Angehörigen, sondern mit den anderen. Mit Männern, die ihre Frauen halb blindgeprügelt hatten, mit Frauen, die ihre kleinen Kinder mit kochendem Wasser verbrüht hatten, mit Mördern, in den trunkenen, fassungslosen Augenblicken, nachdem alles aus ihnen herausgesprudelt war. Dann hatte ich mit dieser unendlich sanften Stimme gesagt: Ganz ruhig, es wird alles gut. Schön durchatmen. Das Schlimmste ist vorbei.
    Draußen vor dem Fenster des Kriminallabors war der Himmel schwarz geworden, ein schmutziges, rostiges Schwarz, orange verschmiert von den Lichtern der Stadt, und zwischen den Baumkronen im Park hing tief ein dünner, zerbrechlicher Mond. Ein Schauder schüttelte meine Wirbelsäule wie ein kalter Windstoß. Polizeiwagen, die durch Glenskehy rasten und dann wieder hinaus, John Naylors Augen, angefüllt mit purem Zorn, und die Nacht, die sich unaufhaltsam senkte.
    Es war mir nicht erlaubt, mit Sam oder Frank zu sprechen, solange wir nicht alle vernommen worden waren. Ich sagte der Technikerin, ich müsse zur Toilette, und warf ihr einen Von-Frau-zu-Frau-Blick zu, als Erklärung, warum ich meine Jacke mitnahm. In der Kabine betätigte ich die Spülung, und während das Wasser noch lief – alles im DIA macht dich paranoid, die dicken Teppiche, die Stille –, schrieb ich Frank und Sam rasch eine SMS. Ihr müsst UNBEDINGT das Haus überwachen lassen.
    Ich stellte mein Handy auf stumm und setzte mich auf den Klodeckel, roch den süßlichen, falschen Blumengeruch des Lufterfrischers und wartete, solange ich konnte, ohne dass die Frau da draußen stutzig wurde, aber keiner von beiden antwortete. Ihre Handys waren wahrscheinlich ausgeschaltet. Bestimmt waren sie selbst gerade mit Vernehmungen beschäftigt, wechselten sich geschickt bei Abby und Rafe und Justin ab, um sie in die Mangel zu nehmen, berieten sich zwischendurch kurz mit leiser Stimme auf Korridoren, stellten mit unermüdlicher, grimmiger Geduld Fragen über Fragen. Vielleicht – mein Herz schnellte hoch, trommelte mir in der Kehle –, vielleicht war einer von ihnen im Krankenhaus und sprach mit Daniel. Weißes Gesicht, Infusionsschläuche, Leute, die in OP-Montur hin und her hasteten. Ich versuchte, mich genau zu erinnern, wo die Kugel ihn getroffen hatte, spulte alles wieder und wieder im Kopf ab, doch der Film flackerte und stockte, und ich konnte nichts erkennen. Das winzige Nicken, der hochspringende Lauf seiner Waffe, der Rückstoß, der

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