Totengleich
nicht ausgeklappt – und blinzelte fest, als wären seine Augenlider kratzig. »Deine SMS«, sagte er. »Ich hab gleich Byrne angerufen, als ich sie gelesen hab. Er hat gesagt, er wird das Haus im Auge behalten, aber … Du weißt ja, wie er ist. Er ist bloß dran vorbeigefahren, auf seiner Streife.«
Irgendetwas Geisterhaftes und Dunkles bäumte sich hinter mir auf, drohend, bebte an meiner Schulter wie eine große Katze, bereit zum Sprung. »John Naylor«, sagte ich. »Was hat er gemacht?«
Sam rieb sich die Augen mit den Handballen. »Die Feuerwehrleute tippen auf Benzin. Wir hatten das Haus rundherum mit Polizeiband abgesperrt, aber … Die Tür war natürlich aufgebrochen, und dann war da noch das Fenster auf der Rückseite, das Daniel zerschossen hat. Naylor ist einfach unter der Absperrung durch und ins Haus spaziert.«
Eine Feuersäule am Berghang. Abby und Rafe und Justin allein in schäbigen Verhörräumen, Daniel und Lexie auf kaltem Stahl. »Haben sie irgendwas retten können?«
»Bis Byrne das Feuer bemerkt hat und bis die Feuerwehr endlich da war … Das Haus liegt ja mitten in der Pampa.«
»Ich weiß«, sagte ich. Irgendwie saß ich jetzt auf dem Futon. Ich spürte den Grundriss von Whitethorn House in meine Knochen gebrannt: die Form des Treppenpfostens in meine Handfläche eingeprägt, den Druck von Lexies Bettgestell entlang meiner Wirbelsäule, die Neigungen und Biegungen der Treppe in meinen Füßen, aus meinem Körper war die schimmernde Schatzkarte einer verlorenen Insel geworden. Was Lexie begonnen hatte, hatte ich für sie vollendet. Gemeinsam hatten wir Whitethorn House in Schutt und rauchende Asche verwandelt. Vielleicht hatte sie mich ja genau dafür gebraucht, von Anfang an.
»Jedenfalls«, sagte Sam. »Ich hab gedacht, du erfährst es besser von mir, statt … ich weiß nicht, aus den Frühnachrichten. Ich weiß, was dir das Haus bedeutet hat.« Selbst da lag nicht ein Funken Bitterkeit in seiner Stimme, aber er kam nicht zu mir, und er setzte sich nicht. Er hatte noch immer den Mantel an.
»Die anderen?«, sagte ich. »Wissen sie es?« Eine schwindelige Sekunde lang, ehe mir wieder einfiel, wie sehr sie mich jetzt hassten und wie viel Grund sie dazu hatten, dachte ich: Ich sollte es ihnen sagen. Sie sollten es von mir erfahren .
»Ja. Ich hab’s ihnen gesagt. Sie mögen mich nicht besonders, aber Mackey … Ich hab gedacht, ich mach das besser. Sie … « Sam schüttelte den Kopf. Das verkrampfte Zucken in seinem Mundwinkel verriet mir, wie es gelaufen war. »Sie werden drüber wegkommen«, sagte er. »Früher oder später.«
»Sie haben keine Familien«, sagte ich. »Sie haben keine Freunde, nichts. Wo sollen sie bleiben?«
Sam seufzte. »Zurzeit sind sie in Gewahrsam, klar. Beihilfe zum Mord. Damit kommen wir nicht durch – wir haben nichts gegen sie in der Hand, es sei denn, sie reden, und das werden sie nicht – aber … na ja. Wir müssen es probieren. Morgen lassen wir sie wahrscheinlich laufen, dann hilft ihnen die Opferbetreuung, eine Unterkunft zu finden.«
»Was ist mit Naylor?«, fragte ich. »Die Brandstiftung. Habt ihr ihn schon gefasst?«
»Byrne und Doherty suchen nach ihm, aber er ist noch nicht aufgetaucht. Eine großangelegte Suche würde nichts bringen. Der kennt die Gegend wie seine Westentasche. Früher oder später kommt er schon nach Hause. Dann schnappen wir ihn uns.«
»Was für ein Fiasko«, sagte ich. In dem dämmerigen, diffusen gelben Licht wirkte die Wohnung unterirdisch, erstickend. »Was für ein erstklassiges gigantisches Riesenfiasko.«
»Das kann man wohl sagen.« Sam zog leicht an den Schultern seine Mantels und blickte an mir vorbei auf die letzten Sterne, die im Fenster verblassten. »Sie hat von Anfang an Unglück gebracht, diese Lexie Madison. Das alles wird sich irgendwann beruhigen, schätze ich. Ich geh dann jetzt besser. Ich muss früh im Büro sein, muss mir die drei noch mal vornehmen, obwohl es nichts bringen wird. Ich wollte nur, dass du Bescheid weißt.«
»Sam«, sagte ich. Ich konnte nicht aufstehen. Es kostete mich schon allen Mut, den ich noch hatte, meine Hand nach ihm auszustrecken. »Bleib.«
Ich sah, wie er sich auf die Lippe biss. Er wich meinem Blick noch immer aus. »Du solltest auch etwas schlafen, du musst doch völlig erschöpft sein. Und ich dürfte eigentlich gar nicht hier sein. Die vom DIA meinten … «
Ich konnte ihm nicht sagen: Als ich sicher war, dass ich erschossen werden würde, warst du mein
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