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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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benutzt worden – also auch in der Richtung keine Anhaltspunkte. Und nicht die Spur von irgendwelchen Konflikten an der Uni – dabei ist die anglistische Fakultät die reinste Gerüchteküche. Wenn sie mit jemandem Probleme gehabt hätte, hätten wir das erfahren.«
    »Ich sag ja nur ungern, hab ich doch gleich gesagt«, bemerkte Frank süffisant und brachte die Tassen, »aber manchmal müssen wir im Leben auch Dinge tun, die uns unangenehm sind.«
    »Ja«, sagte Sam geistesabwesend. Frank machte förmlich einen Diener, um ihm seine Tasse zu reichen, und zwinkerte mir hinter Sams Rücken zu. Ich ignorierte ihn. Sam streitet sich grundsätzlich nie mit Kollegen, die am selben Fall arbeiten, aber es gibt immer wieder Leute wie Frank, die glauben, er wäre einfach zu einfältig, um zu merken, wenn ihm jemand blöd kommt. »Deshalb hab ich gedacht, Cassie … Die Sache ist die, das Ausschließen könnte eine Ewigkeit dauern, aber solange ich kein Motiv und keine Anhaltspunkte habe, bleibt mir nichts anderes übrig. Ich weiß aber nicht, wo ich anfangen soll. Ich dachte, wenn ich nur irgendeine Idee hätte, wonach ich suche … Könntest du mir vielleicht beim Profiling helfen?«
    Eine Sekunde lang war mir, als wäre die Luft im Raum vor purer Traurigkeit dunkel geworden, beißend und unauslöschlich wie Rauch. Bei jedem Mordfall, mit dem ich je betraut worden war, hatte ich genau hier in meiner Wohnung versucht, ein Profil des Täters zu entwickeln: lange Nächte, Whiskey, Rob, der ausgestreckt auf dem Sofa mit einem Gummiband spielte und alles, was ich mir einfallen ließ, auf Schwachstellen abklopfte. Für den Knocknaree-Fall hatten wir Sam mit ins Boot geholt, Sam, der mich schüchtern anlächelte, während Musik und Motten gegen die Fensterscheibe wirbelten, und mein einziger Gedanke war, wie glücklich wir drei gewesen waren, trotz allem, und wie fatal, wie verheerend arglos. Diese angespannte, überfüllte Wohnung – der Geruch nach fettigem, kaltem chinesischen Essen, mein Schienbein, das höllisch weh tat, Frank, der amüsiert aus den Augenwinkeln zusah –, das war nicht das Gleiche, es war wie ein höhnisch verzerrtes Spiegelbild in einem unheimlichen Vexierspiegel, und mein einziger Gedanke war aberwitzigerweise, ich will nach Hause .
    Sam schob einen Stoß Karten zur Seite – behutsam, mit einem Blick zu uns, um sich zu vergewissern, dass er auch nichts durcheinanderbrachte – und stellte seine Tasse ab. Frank rutschte ganz an den Rand des Sofas, stützte das Kinn auf die verschränkten Finger und tat fasziniert. Ich hielt die Augen gesenkt, damit sie den Ausdruck in meinem Gesicht nicht sehen konnten. Auf dem Tisch lag ein Foto von Lexie, halb versteckt unter einem Reiskarton. Lexie auf einer Leiter in der Küche von Whitethorn House, in Latzhose und Männerhemd und mit weißer Farbe bekleckert. Zum allerersten Mal tat mir ihr Anblick gut: ein Handschellenruck am Gelenk, der mich wieder auf die Erde riss, ein Schwall kaltes Wasser ins Gesicht, der alles andere aus meinem Kopf verjagte. Fast hätte ich den Arm ausgestreckt und meine Hand auf das Foto gepresst.
    »Ja, klar mach ich ein Profil«, sagte ich. »Aber du weißt, dass ich dir nicht viel liefern kann, oder? Nicht bei einer einzigen Tat.« Als Profiler braucht man ein Muster. Bei einer einzelnen Tat kannst du unmöglich sagen, was purer Zufall und was ein Anhaltspunkt ist, für den die Begrenzungen im Leben des Täters oder die verborgenen kantigen Umrisse seines Denkens die Schablone liefern. Ein Mord an einem Mittwochabend verrät dir noch nicht sehr viel; drei weitere zur gleichen Zeit am gleichen Wochentag besagen, dass der Täter an dem Abend freihat, und du solltest zweimal hinschauen, wenn du einen Verdächtigen findest, dessen Gattin mittwochs zum Bingo geht. Ein bestimmtes Wort, das bei einer Vergewaltigung ausgesprochen wird, könnte nichts besagen; fällt es aber bei drei weiteren, wird es zu einem Erkennungszeichen, das eine Freundin oder Ehefrau oder Expartnerin irgendwo wiedererkennen wird.
    »Egal was«, sagte Sam. Er klappte das Notizbuch auf, zückte seinen Stift und beugte sich vor, die Augen auf mich gerichtet, bereit. »Hauptsache überhaupt was.«
    »Okay«, sagte ich. Ich brauchte nicht einmal die Akte. Ich hatte schon mehr als genug über die Sache nachgedacht, während Frank wie ein Weltmeister auf dem Sofa schnarchte und mein Fenster sich von Schwarz in Grau in Gold verfärbte. »Erstens, es ist vermutlich ein Mann. Eine

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