Totengleich
weil er sie durchsuchen musste.«
»Weshalb?«, fragte Sam. »Wir wissen, dass er es nicht auf Geld abgesehen hat.«
»Mir fallen nur drei Gründe ein«, sagte ich. »Erstens, er wollte nachsehen, ob sie irgendwas dabeihatte, was ihn verraten könnte – ein Tagebuch, in dem sie die Verabredung vielleicht erwähnt hatte, ihr Handy, in dem seine Nummer gespeichert war, so was eben.«
»Sie hatte kein Tagebuch«, sagte Frank zur Decke. »Ich hab die Fantastischen Vier gefragt.«
»Und ihr Handy hatte sie zu Hause auf dem Küchentisch liegen lassen«, sagte Sam. »Die Mitbewohner sagen, das sei normal. Sie wollte es zwar immer mit auf ihre Spaziergänge nehmen, hat es aber meistens vergessen. Wir sind dabei, es zu untersuchen. Bisher nichts Verdächtiges.«
»Das wusste er aber nicht unbedingt«, sagte ich. »Er könnte auch nach etwas Speziellerem gesucht haben. Vielleicht sollte sie ihm irgendwas geben, und das ist dann schiefgelaufen: Sie hat es sich anders überlegt … Entweder er hat es ihrer Leiche abgenommen, oder sie hatte es gar nicht bei sich.«
»Eine Schatzkarte?«, fragte Frank eifrig. »Die Kronjuwelen?«
»Das Haus ist voll mit altem Zeug«, sagte Sam. »Wenn da irgendwas Wertvolles dabei wäre … Wurde eigentlich ein Inventarverzeichnis erstellt, für den Erben?«
»Ha«, sagte Frank. »Sie haben es doch gesehen. Wie soll da einer Inventur machen? In Simon Marchs Testament sind nur die guten Sachen aufgeführt – vor allem antike Möbel, ein paar Gemälde –, aber das ist alles nicht mehr da. Die Erbschaftssteuer war horrend. Um die zu bezahlen, musste alles, was mehr als ein paar Euro wert war, versilbert werden. Nach dem, was ich gesehen hab, ist nur noch Gerümpel übrig.«
»Die andere Möglichkeit«, sagte ich, »ist die, dass er nach irgendwas gesucht hat, was ihm verraten würde, wer sie ist. Die Verwirrung um die Identität der Frau ist weiß Gott groß genug. Mal angenommen, er hat gedacht, er würde mit mir sprechen, und ist dann misstrauisch geworden, oder mal angenommen, sie hat eine Andeutung gemacht, dass Lexie Madison gar nicht ihr richtiger Name ist. Möglich, dass er dann nach einem Ausweis oder so gesucht hat, um herauszufinden, wen er da erstochen hat.«
»Deine Szenarien lassen sich auf einen gemeinsamen Nenner bringen«, sagte Frank. Er lag zurückgelehnt da, die Arme hinterm Kopf verschränkt, und beobachtete uns, und das Funkeln in seinen Augen war noch dreister geworden. »Der Täter wollte sich einmal mit ihr treffen, was bedeutet, er könnte sich durchaus noch einmal mit ihr treffen wollen, wenn er die Gelegenheit hat. Er hatte nicht vor, sie zu töten, was bedeutet, es ist äußerst unwahrscheinlich, dass irgendeine weitere Gefahr besteht. Und er wohnt nicht in Whitethorn House.«
»Nicht unbedingt«, sagte Sam. »Wenn es einer von den Mitbewohnern war, könnte er – oder sie – der toten Lexie das Handy abgenommen haben, um sicherzugehen, dass sie nicht den Notruf gewählt oder irgendwas aufgenommen hatte. Wir wissen, sie hat andauernd mit dem Handy gefilmt. Gut möglich, dass der Täter befürchtet hat, sie könnte ihn darauf festgehalten haben.«
»Sind die Abdrücke auf dem Handy schon ausgewertet?«, fragte ich.
»Seit heute Nachmittag«, sagte Frank. »Lexie und Abigail. Abby und Daniel sagen beide, Abby hätte Lexie ihr Handy an dem Morgen gegeben, als sie das Haus verließen, um zur Uni zu fahren, und die Abdrücke bestätigen das. Die von Lexie überlagern die von Abby an mindestens zwei Stellen: Sie hat das Handy nach Abby angefasst. Niemand hat der toten Lexie das Handy abgenommen. Es lag zu Hause auf dem Küchentisch, als sie starb, und jeder im Haus hätte es finden können, ohne ihr hinterherlaufen zu müssen.«
»Sie hätten auch ihr Tagebuch an sich nehmen können«, sagte Sam. »Wir haben nur die Aussage der vier, dass Lexie keins hatte.«
Frank verdrehte die Augen. »Wenn Sie so anfangen, haben auch wir nur die Aussage der vier, dass sie überhaupt da gewohnt hat. Nach allem, was wir wissen, könnte sie mit ihnen vor einem Monat einen Streit gehabt haben und als Geliebte eines saudischen Prinzen in ein Dubliner Penthouse gezogen sein, nur dass nicht der Hauch eines Beweises in diese Richtung deutet. Die Geschichten der vier stimmen tadellos überein, wir haben keinen von ihnen bei einer Lüge ertappt, sie wurde außerhalb des Hauses erstochen –«
»Was denkst du?« Sam fiel Frank ins Wort. »Passen sie ins Profil?«
»Ja, Cassie«,
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