Totengleich
sagte ich, die Augen weiter auf die Fotos gerichtet. Isabella Smythe, Brian Ryan – seine Eltern waren entweder nicht ganz klar im Kopf, oder sie hatten einen verschrobenen Sinn für Humor –, Mark O'Leary … »weiß ich.«
»Ich weiß nicht, ob das mit diesem Fall zusammenhängt oder ob du vorher schon so warst, und das muss ich auch nicht wissen. Wenn es bloß Lampenfieber ist, kann es gut sein, dass es verschwindet, sobald du im Haus bist. Aber eines wollte ich dir sagen: Wenn es nicht verschwindet, keine Panik . Fang nicht an, dich selbst in Frage zu stellen, sonst bringst du dich so weit, dass du die Nerven verlierst, und versuch auch nicht, es zu verbergen. Nutze es. Lexie hat schließlich allen Grund, ein wenig zittrig zu sein, und das solltest du für deine Zwecke einsetzen. Nutze, was du hast, selbst wenn du es dir nicht unbedingt ausgesucht hättest. Alles ist eine Waffe, Cass. Alles.«
»Ich werd’s mir merken«, sagte ich. Der Gedanke, dass mir der Knocknaree-Fall tatsächlich noch zugutekommen würde, löste etwas Verworrenes in meiner Brust aus, machte das Atmen schwer. Ich wusste, wenn ich mit der Wimper zuckte, würde Frank es merken.
»Glaubst du, du schaffst das?«
Lexie , dachte ich, Lexie würde ihm nicht sagen, er soll sich um seinen eigenen Kram kümmern und sie ihren machen lassen , was ich instinktiv sagen wollte, und sie würde ihm garantiert nicht antworten. Lexie würde ihm ins Gesicht gähnen oder ihm sagen, er solle aufhören mit seinen großmütterlichen Nörgeleien und Belehrungen, oder ein Eis verlangen. »Die Kekse sind alle«, sagte ich und reckte mich – die Fotos rutschten mir vom Bauch und verteilten sich auf dem Boden. »Los, geh welche kaufen. Mit Zitronencreme«, und dann lachte ich laut auf über den Ausdruck in Franks Gesicht.
Frank gab mir gnädigerweise den Samstagabend frei – ein Herz aus Gold hat er, unser Frankie –, damit Sam und ich uns voneinander verabschieden konnten. Sam kochte ein Hähnchen-Tikka. Ich versuchte, zum Nachtisch ein dazu unpassendes Tiramisu hinzukriegen, das beunruhigend aussah, aber ganz gut schmeckte. Wir sprachen über Belangloses, unwichtiges Zeug, fassten uns quer über den Tisch an den Händen und tauschten die kleinen Geschichten aus, die frische Pärchen einander erzählen und aufbewahren wie Strandfunde: Anekdoten aus unserer Kindheit, die größten Dummheiten, die wir als Jugendliche angestellt hatten. Lexies Sachen, die an der Kleiderschranktür hingen, schimmerten in der Ecke wie grelle Sonne auf Sand, aber wir erwähnten sie nicht, kein einziges Mal.
Nach dem Essen kuschelten wir auf dem Sofa. Ich hatte den Kamin angemacht, Sam hatte eine CD aufgelegt. Es hätte ein ganz normaler Abend sein können, er hätte allein uns gehören können, wenn da nicht diese wartenden Klamotten und mein schneller, einsatzbereiter Pulsschlag gewesen wären.
»Wie fühlst du dich?«, fragte Sam.
Ich hatte schon gehofft, wir würden den Abend durchstehen, ohne über morgen zu reden, aber realistisch gesehen war das wahrscheinlich zu viel verlangt. »Einigermaßen«, sagte ich.
»Bist du nervös?«
Ich überlegte. Die ganze Situation war wahrscheinlich auf zig Arten total meschugge. Eigentlich hätte ich vor Angst wie gelähmt sein müssen. »Nein«, sagte ich. »Aufgeregt.«
Ich spürte Sam nicken, oben gegen meinen Kopf. Er strich mir mit einer Hand in einem langsamen, beruhigenden Rhythmus über die Haare, aber seine Brust fühlte sich an meiner bretthart an, als würde er die Luft anhalten.
»Du bist immer noch dagegen, stimmt’s?«, sagte ich.
»Ja«, sagte Sam leise. »Stimmt.«
»Wieso hast du es dann nicht verhindert? Du leitest die Ermittlung. Du hättest dich querstellen können, jederzeit.«
Sams Hand stockte. »Willst du das?«
»Nein«, sagte ich. Wenigstens das wusste ich ganz sicher. »Auf gar keinen Fall.«
»Es wäre nicht leicht, zu diesem Zeitpunkt. Jetzt, wo der Undercover-Einsatz losgeht, ist Mackey verantwortlich. Da hab ich keinerlei Befugnis. Aber wenn du es dir anders überlegt hast, finde ich einen Weg –«
»Hab ich nicht, Sam. Ehrlich. Ich hab mich bloß gefragt, warum du am Anfang überhaupt dein O.K. gegeben hast.«
Er zuckte die Achseln. »Mackey hat nicht ganz unrecht: Wir haben nichts in der Hand. Das ist vielleicht die einzige Möglichkeit, den Fall zu lösen.«
Sam hat eine Reihe ungelöster Fälle zu verantworten, wie jeder Detective, und ich war ziemlich sicher, dass er einen weiteren
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