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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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– die war bestimmt von Abby –, zwei Bücher von Barbara Kingsolver, einen Walkman und einen Haufen selbst aufgenommene Kassetten. Mal ganz abgesehen davon, dass ich solche Kassetten nicht mehr gesehen hatte, seit ich zwanzig war, konnte ich den Musikgeschmack nicht so richtig einordnen – Stücke von Tom Waits und Bruce Springsteen, Musik für Autofahrten nachts auf langen Highways, kunterbunt gemischt mit Edith Piaf und den Guillemots und einer Frau namens Amalia Rodrigues, die ein kehliges Portugiesisch sang. Zumindest gefiel mir alles ganz gut. Wenn was von Eminem dabei gewesen wäre, hätte ich alles abblasen müssen. Auf der Karte stand »Alles Liebe«, gefolgt von den vier Namen, sonst nichts, und diese Kürze verlieh ihr etwas Geheimnisvolles, als wären Botschaften darin verborgen, die ich nicht deuten konnte. Die Schokoriegel aß Frank.
    Die offizielle Darstellung lautete, dass Lexie im Koma das Kurzzeitgedächtnis verloren hätte: Sie konnte sich an den Angriff auf sie gar nicht mehr erinnern und an ganz wenig aus den Tagen davor. »Was durchaus Vorteile hat«, stellte Frank klar. »Wenn du irgendwas durcheinanderbringst, kannst du einfach bestürzt aus der Wäsche gucken und irgendwas Hilfloses über das Koma murmeln, und keiner wird sich trauen, dich zu bedrängen.« Ich hatte inzwischen meiner Tante und meinem Onkel und meinen Freunden erzählt, ich würde verreisen, um eine Fortbildung zu machen – ich drückte mich vage aus –, und käme erst in einigen Wochen zurück. Sam hatte meine längere Abwesenheit von der Arbeit plausibel gemacht, indem er Quigley, der größten Plaudertasche im Morddezernat, ganz im Vertrauen erzählte, ich würde mich für einige Zeit beurlauben lassen, um meinen Uni-Abschluss nachzumachen, was auch eine gute Erklärung für den Fall der Fälle lieferte, dass mich irgendwer in der Stadt sah und sich über mein Studentenoutfit wunderte. Quigley besteht hauptsächlich aus einem breiten Hintern und einem großen Mund, und er konnte mich nie besonders leiden. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden würde sich meine Beurlaubung herumgesprochen haben, vermutlich gewürzt mit ein paar reißerischen Zugaben (Schwangerschaft, Psychose, Cracksucht).
    Am Donnerstag bombardierte Frank mich bereits mit Fragen: Wo sitzt du beim Frühstück? Wo steht das Salz? Wer nimmt dich mittwochmorgens mit zur Uni? In welchem Raum ist das Büro deines Doktorvaters? Wenn ich etwas nicht wusste, schoss er sich auf den Bereich ein, bearbeitete ihn mit Hilfe von allem, was ihm zur Verfügung stand – Fotos, Anekdoten, Handyfilme, Audiomitschnitte von Vernehmungen –, bis ich das Gefühl hatte, es wären meine eigenen Erinnerungen, und mir die Antwort ganz automatisch über die Lippen kam. Dann setzte er das Trommelfeuer aus Fragen fort: Wo hast du vorletztes Jahr Weihnachten gefeiert? An welchem Wochentag bist du mit Einkaufen dran? Es war, als säße eine menschliche Tennisballmaschine bei mir auf dem Sofa.
    Ich sagte es Sam nicht – ich hatte deshalb irgendwie ein schlechtes Gewissen –, aber ich genoss diese Woche in vollen Zügen. Ich liebe Herausforderungen. Hin und wieder kam mir schon der Gedanke, dass ich mich in einer total bizarren Situation befand, die aller Voraussicht nach nur noch bizarrer werden würde. Dieser Fall hatte so sehr etwas von einem Möbiusband, dass es schwierig war, den Überblick zu behalten: überall lauter Lexies, die an den Rändern ineinanderflossen, bis man nicht mehr wusste, über welche man eigentlich sprach. Ab und an musste ich mich bremsen, Frank zu fragen, wie es ihr ging.

    Franks Schwester Jackie war Friseurin, und am Freitagabend brachte er sie mit zu mir, damit sie mir die Haare schnitt. Jackie war spindeldürr, wasserstoffblond und völlig unbeeindruckt von ihrem großen Bruder. Ich mochte sie.
    »Ah ja, da muss wirklich was runter«, stellte sie fest und fuhr mir professionell mit langen lila Fingernägeln durch den Pony. »Wie hätten Sie’s denn gern?«
    »Moment«, sagte Frank, fischte ein Tatortfoto hervor und gab es ihr. »Kriegst du das genauso hin?«
    Jackie hielt das Foto zwischen Daumen und Zeigefingerspitze und betrachtete es misstrauisch. »Moment«, sagte sie. »Ist die Frau etwa tot?«
    »Das ist vertraulich«, sagte Frank.
    »Vertraulich, von wegen. Ist das Ihre Schwester, Liebes?«
    »Sehen Sie mich nicht so an«, sagte ich. »Das war alles Franks Idee. Ich bin gar nicht gefragt worden.«
    »Hören Sie bloß nicht auf den. Moment –«

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