Totengleich
»aber irrelevant. Ja, sicher, es ist verflucht riskant. Das wusstest du von Anfang an. Aber es ist machbar, solange du vorsichtig bist, nicht die Nerven verlierst und nicht ungeduldig wirst. Weißt du noch, was ich beim letzten Mal gesagt hab, was das Fragen anging?«
»Klar«, sagte ich. »Spiel die Unschuldige und frag so viel wie möglich.«
»Diesmal ist es anders. Du musst genau das Gegenteil machen: Stell überhaupt keine Fragen, es sei denn, du bist absolut sicher, dass du die Antwort nicht schon kennen müsstest. Was im Grunde heißt, dass du niemanden irgendwas fragen darfst.«
»Was soll ich denn dann machen, wenn ich keine Fragen stellen kann?« Ich hatte mir auch schon Gedanken darüber gemacht.
Frank durchquerte den Raum mit schnellen Schritten, schob Papiere vom Couchtisch und setzte sich, dann beugte er sich zu mir, die blauen Augen beschwörend auf mir. »Du hältst Augen und Ohren weit offen. Das Hauptproblem bei dieser Ermittlung ist, dass wir keinen Verdächtigen haben. Deine Aufgabe ist es, einen zu benennen. Denk dran, egal, was du rausfindest, es wird vor Gericht ohnehin nicht zulässig sein, da du die Verdächtigen ja wohl schlecht über ihre Rechte aufklären kannst, wir sind also nicht auf ein Geständnis oder so aus. Den Teil kannst du mir und unserem Sammy überlassen. Wir besorgen die Beweise, wenn du uns einfach nur in die richtige Richtung lenkst. Finde raus, ob da draußen jemand ist, der es bisher geschafft hat, nicht auf unserem Radarschirm aufzutauchen – entweder jemand aus der Vergangenheit der Frau oder jemand, den sie noch nicht so lange kannte und den sie verschwiegen hat. Wenn irgendwelche Leute Kontakt zu dir aufnehmen, die nicht auf der BK-Liste stehen – telefonisch, persönlich, wie auch immer –, gehst du drauf ein, findest raus, wer sie sind und in welchem Verhältnis sie zu dem Opfer standen, und versuchst, Telefonnummern und vollständige Namen rauszukriegen.«
»Verstehe«, sagte ich. »Dein großer Unbekannter.« Es klang alles ganz plausibel, aber andererseits klingt Frank immer so. Ich war mir nach wie vor ziemlich sicher, dass Sam recht hatte und Frank die Sache nicht bloß durchziehen wollte, weil er dachte, sie hätte auch nur den Hauch einer Chance, sondern vor allem, weil sie eine so umwerfende, waghalsige, absurde, einmalige Gelegenheit darstellte. Ich beschloss, dass es mir egal war.
»Genau. Passend zu unserer großen Unbekannten. Außerdem behältst du die Mitbewohner im Auge und bringst sie zum Reden. Ich stufe sie nicht als Verdächtige ein – ich weiß, dein Sammy hat es sich in den Kopf gesetzt, dass es einer von ihnen war, aber ich seh das wie du, sie passen nicht ins Profil –, ich bin mir aber ziemlich sicher, dass sie uns nicht alles erzählen. Du wirst verstehen, was ich meine, wenn du sie kennenlernst. Auch wenn es was völlig Irrelevantes ist, vielleicht dass sie bei Klausuren geschummelt haben oder Schnaps im Garten brennen oder wissen, wer der Daddy ist, aber ich möchte selbst entscheiden, was davon relevant ist und was nicht. Über so was würden sie niemals mit der Polizei reden, aber wenn du’s richtig anstellst, reden sie vielleicht mit dir. Zerbrich dir nicht den Kopf wegen ihrer anderen BKs – wir haben nichts, was auf einen von ihnen hindeutet, und Sammy und ich bleiben ohnehin an ihnen dran –, aber wenn sich einer auch nur ansatzweise verdächtig benimmt, sagst du mir natürlich Bescheid. Verstanden?«
»Verstanden«, sagte ich.
»Noch eine letzte Sache«, sagte Frank. Er stand vom Tisch auf, nahm unsere Kaffeetassen und brachte sie zur Kochnische. Wir waren an dem Punkt angelangt, wo zu jeder Tagesund Nachtzeit eine große Kanne starker Kaffee auf der Warmhalteplatte stand. Noch eine Woche länger, und wir hätten das Pulver wahrscheinlich direkt mit dem Löffel aus der Packung gegessen. »Ich wollte schon länger mit dir drüber reden.«
Damit hatte ich schon seit Tagen gerechnet. Ich blätterte die Fotos wie Karteikarten durch und konzentrierte mich so gut ich konnte darauf, die Namen im Kopf aufzusagen: Cillian Wall, Chloe Nelligan, Martina Lawlor … »Schieß los«, sagte ich.
Frank stellte die Tassen ab und fing an, mit meinem Salzstreuer zu spielen, drehte ihn vorsichtig zwischen den Fingern. »Ich sprech das nur ungern an«, sagte er, »aber was will man machen, das Leben ist manchmal zum Kotzen. Du weißt selbst, dass du – wie soll ich sagen – in letzter Zeit ein wenig schreckhaft bist, ja?«
»Ja«,
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