Totengleich
verkraftet hätte, solange er sicher war, dass der Täter es nicht auf mich abgesehen hatte. »Letzten Samstag hattet ihr auch noch nichts in der Hand«, sagte ich, »und da warst du strikt dagegen.«
Seine Hand setzte sich wieder in Bewegung. »An dem ersten Tag«, sagte er nach einer Weile. »Als du zum Tatort gekommen bist. Da hast du mit Mackey rumgekabbelt, weißt du noch? Er hat über deine Klamotten gelästert, und du hast zurückgelästert, wie du es damals immer gemacht hast mit … als du im Morddezernat warst.«
Er meinte mit Rob. Rob war wahrscheinlich der engste Freund, den ich je gehabt hatte, aber dann hatten wir diesen riesigen, komplizierten, bösen Krach, und unsere Freundschaft war zu Ende gewesen. Ich drehte mich um und stützte mich auf Sams Brust auf, damit ich ihn ansehen konnte, aber er blickte zur Decke. »Ich hatte dich schon lange nicht mehr so erlebt«, sagte er. »So voller Schwung.«
»Ich war bestimmt ganz schön unerträglich in den letzten paar Monaten«, sagte ich.
Er lächelte, nur ein bisschen. »Ich beklag mich nicht.«
Ich versuchte, mich zu erinnern, wann Sam sich je über etwas beklagt hatte. »Nein«, sagte ich. »Ich weiß.«
»Dann Samstag«, sagte er. »Ich weiß, wir haben uns gestritten und so« – er drückte mich kurz, gab mir einen Kuss auf die Stirn –, »aber trotzdem. Hinterher ist mir klargeworden: Wir haben uns gestritten, weil wir beide schon richtig drin waren, in dem Fall, meine ich. Weil du engagiert warst. Es war wie … « Er schüttelte den Kopf, suchte nach den Worten. »Das DHG ist nicht so«, sagte er, »oder doch?«
Ich hatte nie viel über das DHG erzählt. Bis zu diesem Moment war mir nie der Gedanke gekommen, dass mein Schweigen wahrscheinlich Bände gesprochen hatte, auf andere Art. »Die Arbeit muss auch gemacht werden«, sagte ich. »Nichts ist so wie das Morddezernat, aber das DHG ist in Ordnung.«
Sam nickte, und eine Sekunde lang schlossen sich seine Arme fester um mich. »Und die Besprechung«, sagte er. »Bis dahin hatte ich noch mit dem Gedanken gespielt, meine Autorität raushängen zu lassen und Mackey zu sagen, er soll abhauen. Die Sache war ein Fall fürs Morddezernat, ich bin der leitende Detective, wenn ich nein gesagt hätte … Aber so wie du geredet hast, hellwach, Gedanken weitergeführt hast … da hab ich bloß noch gedacht, warum soll ich mich dem in den Weg stellen?«
Damit hatte ich nicht gerechnet. Sam hat so ein Gesicht, von dem du dich täuschen lässt, auch wenn du es eigentlich besser weißt: das Gesicht eines Menschen vom Lande, rote Wangen und klare graue Augen und erste Lachfältchen, so einfach und offen, dass sich dahinter unmöglich etwas verbergen kann. »Danke, Sam«, sagte ich. »Danke.«
Ich spürte, wie seine Brust sich hob und senkte, als er seufzte. »Vielleicht kommt ja was Gutes dabei raus, bei diesem Fall. Man kann nie wissen.«
»Aber du wünschst dir noch immer, dass die Frau sich doch bloß irgendeine andere Gegend ausgesucht hätte, um sich umbringen zu lassen«, sagte ich.
Sam überlegte kurz, drehte sachte einen Finger um eine Locke in meinem Haar. »Ja«, sagte er, »tu ich, klar. Aber die Wünscherei bringt nichts. Wenn du eine Sache erst mal am Hals hast, musst du das Beste draus machen.«
Er blickte mich an. Er lächelte noch immer, aber da war noch etwas anderes, fast Trauriges um seine Augen. »Du hast glücklich ausgesehen, diese Woche«, sagte er nur. »Es ist schön, dich wieder glücklich zu sehen.«
Ich fragte mich, wie der Mann mich bloß aushielt. »Und außerdem hast du gewusst, dass ich dir die Hölle heiß machen würde, wenn du angefangen hättest, für mich Entscheidungen zu treffen«, sagte ich.
Sam grinste und tippte mir mit dem Finger auf die Nasenspitze. »Das auch«, sagte er, »du kleine Xanthippe«, aber noch immer war dieser Schatten hinter seinen Augen.
Nach den zehn langen Tagen verstrich die Zeit am Sonntag schnell, schnell wie eine Flutwelle, die sich bis zum höchsten Punkt aufbaut und schließlich niederkracht. Frank wollte um drei bei mir sein, um mich zu verdrahten und um halb fünf zum Whitethorn House zu bringen. Während Sam und ich uns verhielten, als wäre es ein ganz normaler Sonntag – gemütlich im Bett Zeitung lesen und Tee trinken, duschen, Toast mit Eiern und Speck –, schwebte das die ganze Zeit über unseren Köpfen, ein riesiger tickender Wecker, der darauf wartete, schlagartig zum Leben zu erwachen. Irgendwo da draußen bereiteten
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