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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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Sie warf wieder einen Blick auf das Foto und hielt es Frank mit ausgestrecktem Arm hin. »Gott, ist das widerlich. Kannst du nicht endlich mal was Anständiges machen, Francis? Den Verkehr regeln, irgendwas Nützliches. Ich hab zwei Stunden bis in die Stadt gebraucht –«
    »Würdest du bitte einfach nur schneiden , Jackie?«, sagte Frank und zerwühlte sich genervt die Haare, so dass sie in Büscheln hochstanden. »Und aufhören, mich kirre zu machen?« Jackie warf mir einen Seitenblick zu, und wir wechselten ein kleines, schadenfrohes Frauenschmunzeln.
    »Und vergiss nicht«, sagte Frank streitlustig, als er es mitbekam, »kein Wort über die Sache hier, zu niemandem. Klar? Das ist ganz wichtig.«
    »Ja, klar«, sagte Jackie und zog Kamm und Schere aus ihrer Tasche. »Ganz wichtig. Los, mach uns eine Tasse Tee, ja? Das heißt, wenn Sie nichts dagegen haben, Liebes«, fügte sie an mich gerichtet hinzu.
    Frank schüttelte den Kopf und trottete zur Spüle. Jackie kämmte mir die Haare über die Augen und zwinkerte mir zu.
    Als sie fertig war, sah ich anders aus. Ich hatte mir den Pony noch nie so kurz schneiden lassen; es war eine kleine Veränderung, aber es machte mein Gesicht jünger und nackter, verlieh ihm die großäugige, trügerische Unschuld eines Models. Je länger ich an dem Abend vor dem Schlafengehen in den Badezimmerspiegel starrte, desto weniger sah ich aus wie ich. Als ich schließlich an den Punkt kam, wo ich mich nicht mehr erinnern konnte, wie ich mal ausgesehen hatte, gab ich auf, zeigte dem Spiegel den Stinkefinger und ging ins Bett.

    Am Samstagnachmittag sagte Frank: »Ich glaube, wir sind so weit, es kann losgehen.«
    Ich lag auf dem Sofa, die Beine über die Armlehne gehängt, und ging ein letztes Mal die Fotos von Lexies Tutorenkursen durch, bemüht, einen möglichst gleichgültigen Eindruck zu machen. Frank tigerte auf und ab: Je näher eine Operation rückt, desto weniger sitzt er.
    »Morgen«, sagte ich. Das Wort brannte mir im Mund, ein wildes, sauberes Brennen wie Schnee, das mir den Atem nahm.
    »Morgen Nachmittag – du fängst mit einem halben Tag an, lässt es schön langsam angehen. Ich sag den vier heute Abend Bescheid, damit sie auch alle da sind und dich herzlich willkommen heißen. Meinst du, du bist bereit?«
    Ich hatte keine Vorstellung davon, was bei einer Operation wie dieser das Wort »bereit« überhaupt bedeuten sollte. »So bereit, wie ich nur sein kann«, sagte ich.
    »Lass noch mal hören: Welches Ziel hast du in Woche eins?«
    »Nicht erwischt werden, hauptsächlich«, sagte ich. »Und nicht getötet werden.«
    »Nicht hauptsächlich, ausschließlich .« Frank schnippte im Vorbeigehen mit den Fingern vor meinen Augen. »He. Konzentrier dich. Das ist wichtig.«
    Ich legte die Fotos auf meinen Bauch. »Ich konzentrier mich. Was ist denn?«
    »Wenn dir jemand auf die Schliche kommt, dann in den ersten paar Tagen, während du noch dabei bist, Fuß zu fassen, und alle dich beobachten. Also, in Woche eins machst du nichts anderes als dich allmählich einleben. Das ist harte Arbeit, es wird dich am Anfang schlauchen, und wenn du es übertreibst, machst du Fehler – und ein Fehler genügt. Also immer schön piano. Zieh dich zurück, wenn du kannst: Geh früh ins Bett, lies ein Buch, wenn die anderen Karten spielen. Wenn du es bis zum nächsten Wochenende schaffst, weißt du, wie der Hase läuft, alle anderen haben sich dran gewöhnt, dass du wieder da bist, sie werden nicht mehr groß auf dich achten, und du hast wesentlich mehr Spielraum. Aber bis dahin, Kopf runter: keine Risiken, kein Rumschnüffeln, nichts, was irgendwen stutzig machen könnte. Denk nicht mal an den Fall. Es ist mir völlig egal, wenn du heute in einer Woche noch keine einzige nützliche Info für mich hast, solange du noch in dem Haus bist. Falls ja, schätzen wir die Lage neu ein, und dann sehen wir weiter.«
    »Aber du glaubst im Grunde nicht, dass ich dann noch in dem Haus bin«, sagte ich. »Oder?«
    Frank blieb stehen und bedachte mich mit einem langen, ruhigen Blick. »Würde ich dich da reinschicken«, fragte er, »wenn ich nicht glauben würde, dass es machbar ist?«
    »Klar würdest du«, sagte ich. »Solange du denkst, die Ergebnisse könnten so oder so interessant sein, würdest du nicht mit der Wimper zucken.«
    Er lehnte sich gegen den Fensterrahmen und schien darüber nachzudenken. Das Licht war hinter ihm, und ich konnte seinen Gesichtsausdruck nicht sehen. »Möglich«, sagte er,

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