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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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da ist mir das gute alte, dreckige Dublin tausendmal lieber«, sagte ich zu ihm, äffte seinen Akzent dabei nach. »Nach Hause, James.« Ich war aufgekratzt. Die Jacke hatte mich den ganzen Nachmittag verrückt gemacht – wegen des Maiglöckchengeruchs, so nah, dass ich mich andauernd umgesehen hatte, ob jemand hinter mir stand –, und die Tatsache, dass ich von einer Jacke Gänsehaut bekam, wie in einem Kinderbuch von Dr. Seuss, hatte mich in eine alberne Kicherstimmung versetzt. Selbst als wir die Abzweigung zu dem Cottage passierten, wo ich Frank und Sam am ersten Tag getroffen hatte, wurde ich nicht wieder ernst.
    Die Straße war ein unbefestigter Weg voller Schlaglöcher. Bäume, so mit Efeu behangen, dass sie unförmig wirkten, Heckenzweige, die an den Seiten des Wagens entlangratschten und in mein Fenster griffen, und dann ein wuchtiges schmiedeeisernes Tor mit abblätterndem Rost und trunken in den Angeln hängend. Die Steinpfeiler waren halb in wild wucherndem Weißdorn versunken. »Hier rein«, sagte ich.
    Frank nickte und bog durch das Tor, und wir blickten eine endlose, anmutig geschwungene Allee hinunter, gesäumt von Kirschbäumen in üppiger Blütenpracht. »Wow«, sagte ich. »Was hat mich eigentlich je an der Sache gestört? Kann ich Sam im Koffer mit reinschmuggeln, und dann leben wir hier bis ans Ende unserer Tage?«
    »Komm wieder runter«, sagte Frank. »Wenn wir an der Tür sind, musst du völlig unbeeindruckt wirken. Außerdem ist das Haus noch immer ganz schön verwahrlost, du kannst dich also wieder abregen.«
    »Du hast mir erzählt, sie hätten es renoviert. Ich erwarte Kaschmirvorhänge und weiße Rosen in meinem Ankleidezimmer, sonst rufe ich meinen Agenten an.«
    »Ich hab gesagt, sie sind dabei, es zu renovieren. Ich hab nicht gesagt, dass sie zaubern können.«
    Dann machte die Allee eine kleine Biegung und verbreiterte sich in eine große, halbrunde Zufahrt, die mit Unkraut und Gänseblümchen übersät war, und ich sah Whitethorn House zum ersten Mal. Die Fotos waren ihm nicht gerecht geworden. Dublin ist voll mit Häusern aus der Zeit der Jahrhundertwende, die größtenteils in Bürogebäude umgewandelt wurden und durch deren Fenster deprimierende Neonbeleuchtung zu sehen ist, aber das hier war etwas Besonderes. Sämtliche Proportionen waren so vollkommen aufeinander abgestimmt, dass das Haus aussah, als wäre es dort gewachsen, fest verwurzelt mit den Bergen dahinter und der satten, sanft abfallenden Landschaft davor, als schwebte es zwischen dem hellen Halbrund der Zufahrt und den verschwommenen, dunkelgrün geschwungenen Hügeln, wie ein Schatz, der einem mit offener Hand dargeboten wurde.
    Ich hörte, wie Sam schnell und hart die Luft einsog. »Trautes Heim, Glück allein«, sagte Frank und stellte das Radio aus.
    Sie warteten vor der Tür auf mich, oben an der Treppe. Im Geist sehe ich sie noch immer so, von der Abendsonne in Gold getaucht und strahlend wie eine Vision, jede Falte ihrer Kleidung und jede Rundung in ihren Gesichtern makellos und schmerzlich klar. Rafe lehnte an dem Geländer, die Hände in den Jeanstaschen; Abby in der Mitte, leicht schwankend auf den Zehenspitzen, einen Arm gehoben, um die Augen zu beschatten; Justin, die Füße akkurat nebeneinander und die Hände auf dem Rücken verschränkt, und hinter ihnen Daniel, umrahmt von den Säulen der Tür, sein erhobener Kopf und seine Brille, die Lichtblitze warf.
    Keiner von ihnen bewegte sich, als Frank vorfuhr und bremste, mit hochspritzendem Kies. Sie sahen aus wie Figuren auf einem mittelalterlichen Fries, in sich geschlossen, geheimnisvoll, als stellten sie eine Botschaft in irgendeinem untergegangenen und obskuren Code dar. Nur Abbys Rock flatterte unbeständig in der Brise.
    Frank warf mir einen Seitenblick zu. »Bereit?«
    »Ja.«
    »Braves Mädchen«, sagte er. »Viel Glück. Und los geht’s.« Er stieg aus dem Wagen und ging zum Kofferraum, um mein Gepäck herauszuholen.
    »Pass auf dich auf«, sagte Sam. Er sah mich nicht an. »Ich liebe dich.«
    »Ich bin bald wieder zu Hause«, sagte ich. Unter all den starrenden Augen war es unmöglich, ihn auch nur am Arm zu berühren. »Ich versuch, dich morgen anzurufen.«
    Er nickte. Frank knallte den Kofferraumdeckel zu – das Geräusch war unbändig, überlaut, prallte von der Hausfassade ab, scheuchte Krähen aus den Bäumen auf – und öffnete mir die Tür.
    Ich stieg aus, fasste mir beim Aufrichten kurz an die Seite. »Danke, Detective«, sagte ich

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