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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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alle Freizeit: Kartenspielen, Musik, Lesen, Reden, das Haus weiter auf Vordermann bringen. Lesen schien mir die weitaus einfachste Möglichkeit zu sein. »Perfekt«, sagte ich. »Ich muss ganz schön was aufholen für meine Diss.«
    »Mach mal halblang«, sagte Abby – wieder mit dem kleinen, schiefen Lächeln. »Du bist doch gerade erst wieder zu Haus. Du hast alle Zeit der Welt.« Sie drückte die Zigarette aus und öffnete mit Schwung die Schiebetüren.
    Das Wohnzimmer war riesengroß und überraschenderweise wunderbar. Die Fotos hatten nur die Schäbigkeit eingefangen und nichts von der Atmosphäre. Hohe Decke mit Stuckverzierungen an den Rändern, breite Dielen, unlackiert und uneben, scheußliche Blümchentapete, die sich stellenweise löste und die alten Schichten darunter sehen ließ – zartrote und goldene Streifen, ein matter cremefarbener Schimmer wie Seide. Die Möbel waren bunt gemischt und alt: ein verkratzter Kartentisch mit Rosenholzintarsien, verblichene Brokatsessel, ein langes, unbequem aussehendes Sofa, Bücherregale voll mit zerfledderten Lederausgaben und bunten Taschenbüchern. Es gab kein Deckenlicht, nur Stehlampen und ein Feuer, das in einem wuchtigen schmiedeeisernen Kamin knisterte und wilde Schatten warf, die zwischen den Spinnweben hoch oben in den Ecken herumjagten. Der Raum war chaotisch, und ich verliebte mich in ihn, noch ehe ich ganz durch die Tür war.
    Die Sessel sahen gemütlich aus, und ich wollte schon auf einen von ihnen zusteuern, als mein Verstand voll in die Bremsen stieg. Ich konnte mein Herz hören. Ich hatte keine Ahnung, wo mein üblicher Platz war. Mein Kopf war leer. Das Essen, die Frotzeleien, die behagliche Stille mit Abby: Ich hatte mich entspannt.
    »Bin gleich wieder da«, sagte ich und verkroch mich im Bad, damit die anderen inzwischen hoffentlich die Auswahl begrenzten, indem sie sich auf ihre Plätze setzten, und damit meine zitternden Beine sich beruhigten. Als ich wieder normal atmen konnte, war mein Verstand wieder angesprungen, und ich wusste, wo mein Platz war: ein niedriger, viktorianischer Stillsessel auf einer Seite des Kamins. Frank hatte mir haufenweise Fotos gezeigt. Eigentlich wusste ich das.
    Es wäre so einfach gewesen: im falschen Sessel Platz nehmen. Gerade mal vier Stunden.
    Justin blickte mit einer leichten Sorgenfalte zwischen den Augenbrauen hoch, als ich ins Wohnzimmer kam, aber niemand sagte etwas. Meine Bücher lagen verteilt auf einem niedrigen Tisch neben meinem Sessel: dicke historische Nachschlagewerke, eine eselsohrige Ausgabe von Jane Eyre , aufgeklappt und mit den Seiten nach unten auf einem linierten Notizblock, ein vergilbter Thriller mit dem Titel Mord im Cocktailkleid von Rip Corelli – vermutlich nicht promotionsbezogen, aber vielleicht ja doch –, das Cover zeigte eine vollbusige Frau in einem geschlitzten Kleid und mit einer Pistole im Strumpfband (»Sie lockte die Männer an wie Honig die Bienen … und dann schlug sie zu!«). Mein Stift – ein blauer Kuli, das Ende sichtlich angenagt – lag noch da, wo ich ihn mitten im Satz hingelegt hatte, an diesem Mittwochabend.
    Ich beobachtete die anderen über mein Buch hinweg, suchte nach irgendwelchen Anzeichen für Nervosität, aber sie hatten sich alle mit augenblicklicher, geschulter Konzentration in ihre jeweilige Lektüre vertieft. Abby in einem Sessel, die Füße auf einer kleinen bestickten Fußbank – ihr Restaurationsprojekt vermutlich. Sie blätterte zügig Seiten um und zwirbelte sich eine Haarlocke um den Finger. Rafe saß mir am Kamin gegenüber in dem anderen Sessel. Hin und wieder legte er sein Buch hin und beugte sich vor, um im Feuer zu stochern oder ein Holzscheit nachzulegen. Justin lag auf dem Sofa, seinen Notizblock auf der Brust abgestützt, kritzelte, murmelte dann und wann etwas vor sich hin oder schnaubte oder schnalzte missbilligend mit der Zunge. Hinter ihm an der Wand hing ein ausgefranster Bildteppich mit einer Jagdszene. Er hätte eigentlich unpassend dazu aussehen müssen, mit der Cordhose und der kleinen randlosen Brille, aber irgendwie tat er das nicht, überhaupt nicht. Daniel saß am Kartentisch, den dunklen Kopf im Licht einer hohen Lampe gebeugt, und bewegte sich nur, um bedächtig in aller Ruhe eine Seite umzublättern. Die schweren grünen Samtvorhänge waren geöffnet, und ich stellte mir vor, wie wir wohl aussehen würden für jemanden, der vom dunklen Garten aus hereinschaute, so sicher eingehüllt in unseren Feuerschein und voller

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