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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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aber dann griff Daniel nach der Flasche, um nachzuschenken, und Justin blinzelte, die Röte verschwand aus seinem Gesicht, und er nahm wieder sein Besteck. Eine zufriedene, tiefe Stille trat ein, wie häufig bei gutem Essen. Irgendetwas ging um den Tisch: ein Lockern, eine Beruhigung, ein langes Seufzen, zu leise, um es hören zu können. Un ange passe , hätte mein französischer Großvater gesagt: Ein Engel geht vorbei. Irgendwo oben im Haus hörte ich den schwachen, verträumten Klang einer schlagenden Uhr.
    Daniel warf Abby einen Seitenblick zu, so unauffällig, dass ich es fast übersehen hätte. Er hatte bisher am wenigsten gesagt, den ganzen Abend. Er war auch auf den Handyvideos meist still gewesen, aber das hier hatte irgendwie einen anderen Beigeschmack, eine konzentrierte Intensität, und ich war nicht sicher, ob sich die einfach nicht so gut auf eine Kamera übertrug oder ob sie neu war. »Also«, sagte Abby. »Wie fühlst du dich, Lex?«
    Sie hatten alle aufgehört zu essen. »Ganz gut«, sagte ich. »Ich soll ein paar Wochen lang nichts Schweres heben.«
    »Hast du Schmerzen?«, fragte Daniel.
    Ich zuckte die Achseln. »Sie haben mir hammerharte Schmerzmittel gegeben, aber die brauche ich meist nicht. Ich hab nicht mal eine fette Narbe. Innen mussten sie mir alles zusammennähen, aber außen hab ich nur sechs Stiche.«
    »Lass mal sehen«, sagte Rafe.
    »Himmel«, sagte Justin und legte seine Gabel hin. Er sah aus, als wollte er jeden Moment vom Tisch aufstehen. »Du bist ja pervers. Ich hab keinerlei Bedarf, die Narbe zu sehen, vielen herzlichen Dank.«
    »Ich will sie ganz bestimmt nicht beim Essen sehen«, sagte Abby. »Nichts für ungut.«
    »Die kriegt keiner nirgendwo zu sehen«, sagte ich und blickte Rafe mit zusammengekniffenen Augen an – darauf war ich vorbereitet. »Die haben die ganze Woche an mir rumgefummelt und getastet, und wer meiner Narbe noch mal zu nahe kommt, dem beiß ich die Finger ab.«
    Daniel musterte mich noch immer nachdenklich. »Jawohl, zeig’s ihnen«, sagte Abby.
    »Tut dir wirklich nichts mehr weh?« Justin hatte einen verkniffenen, weißen Zug um Mund und Nase, als wäre schon der Gedanke für ihn unerträglich. »Das muss doch total weh getan haben, am Anfang. War’s schlimm?«
    »Ihr geht’s gut«, sagte Abby. »Hat sie doch eben gesagt.«
    »Ich frag ja nur. Die Polizei hat immer gesagt –«
    »Nun lass gut sein.«
    »Was?«, fragte ich. »Was hat die Polizei immer gesagt?«
    »Ich finde«, sagte Daniel ruhig, aber abschließend, und drehte sich auf seinem Stuhl zu Justin um, »wir sollten es gut sein lassen.«
    Wieder Stille, diesmal weniger entspannt. Rafes Messer quietschte auf seinem Teller; Justin verzog das Gesicht; Abby griff nach dem Pfefferstreuer, klopfte einmal fest damit auf den Tisch und schüttelte ihn forsch.
    »Die wollten wissen«, sagte Daniel plötzlich und sah mich über sein Glas hinweg an, »ob du ein Tagebuch oder einen Terminkalender hast, irgendwas in der Art. Ich hielt es für das Beste, dass wir nein sagen.«
    Also doch ein Tagebuch?
    »Gut so«, sagte ich. »Ich will nicht, dass die in meinen Sachen rumwühlen.«
    »Haben sie schon«, sagte Abby. »Tut mir leid. Sie haben dein Zimmer durchsucht.«
    »Ach Scheiße«, sagte ich empört. »Wieso habt ihr sie nicht dran gehindert?«
    »Wir hatten nicht den Eindruck, dass wir eine Wahl haben«, sagte Rafe trocken.
    »Und wenn ich Liebesbriefe hätte oder – oder harte Pornos oder was Privates ?«
    »Wahrscheinlich haben sie genau danach gesucht.«
    »Eigentlich waren sie ganz faszinierend«, sagte Daniel. »Die von der Polizei. Die meisten von ihnen wirkten total desinteressiert: reine Routine. Ich hätte ihnen gern bei der Durchsuchung zugesehen, aber ich glaube, es wäre keine gute Idee gewesen, sie drum zu bitten.«
    »Jedenfalls haben sie nicht gefunden, was sie gesucht haben«, sagte ich zufrieden. »Wo ist es, Daniel?«
    »Keine Ahnung«, sagte Daniel leicht überrascht. »Da, wo du es hingetan hast, nehme ich an«, und damit widmete er sich wieder seinem Steak.

    Die Jungs räumten die Teller ab. Abby und ich blieben am Tisch sitzen und rauchten in einer Stille, die mir allmählich gesellig vorkam. Ich hörte jemanden im Wohnzimmer hantieren, verborgen hinter einer breiten Schiebedoppeltür, und der Geruch von Holzrauch drang nach draußen zu uns. »Machen wir heute’nen ruhigen?«, fragte Abby und sah mich über ihre Zigarette hinweg an. »Nur lesen?«
    Nach dem Essen war für

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