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Totengrund

Totengrund

Titel: Totengrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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hatte. Okay, die anderen Male hatte er es schon gewusst. Er hätte sein Jagdmesser nicht in die Schule mitbringen sollen. Er hätte sich nicht ohne Erlaubnis Mrs. Pribbles Auto ausleihen sollen. Aber diesmal konnte er sich beim besten Willen nicht denken, warum er zum Direktor zitiert wurde.
    Als er vor Gorchinskis Büro stand, hatte er sich seine Allzweck-Entschuldigung schon zurechtgelegt. Ich weiß, es war dumm von mir, Sir. Ich werde es nie wieder tun, Sir. Bitte, rufen Sie nicht wieder die Polizei, Sir.
    Direktor Gorchinskis Sekretärin hob kaum den Blick, als er eintrat. »Sie können gleich durchgehen, Julian«, sagte sie. »Sie warten drin auf Sie.«
    Sie. Mehrzahl. Das hörte sich ja immer übler an. Die Sekretärin mit ihrem Pokerface verriet wie üblich nichts, sondern tippte nur ungerührt weiter auf ihrer Tastatur herum. Vor Gorchinskis Tür hielt er noch einmal inne und machte sich auf die Strafe gefasst, die ihn erwartete, was immer es sein mochte. Wahrscheinlich hab ich’s verdient, dachte er und trat ein.
    »Da sind Sie ja, Julian. Sie haben Besuch«, sagte Gorchinski. Und er lächelte dabei. Das war neu, das war anders als sonst.
    Der Junge sah die drei Leute an, die Gorchinski gegenübersaßen. Beverly Cupido, seine neue Betreuerin, kannte er schon, und auch sie lächelte. Was hatten die denn alle zu grinsen? Es machte ihn ganz nervös, denn er wusste, dass die grausamsten Schläge allzu oft von einem Lächeln begleitet waren.
    »Julian«, sagte Beverly, »ich weiß, dieses Jahr war wirklich schwer für dich. Du hast deine Mutter und deine Schwester verloren. Und dann die ganzen Vernehmungen wegen des Deputys. Und ich weiß, dass du enttäuscht warst, dass Dr. Isles als deine Pflegemutter abgelehnt wurde.«
    »Sie wollte mich haben«, sagte er. »Sie hat gesagt, ich könnte bei ihr in Boston wohnen.«
    »Das wäre keine angemessene Situation gewesen, weder für sie noch für dich. Wir müssen uns die Umstände genau ansehen und immer dein Wohl im Auge behalten. Dr. Isles lebt allein und hat einen Beruf, der sie sehr stark in Anspruch nimmt, manchmal mit Nachtbereitschaft. Du wärst viel zu viel allein und ohne Aufsicht gewesen. Das ist nicht die Art von Umfeld, das ein Junge wie du braucht.«
    Ein Junge, der eigentlich in den Jugendknast gehört, meinte sie wohl.
    »Deswegen sind diese Leute gekommen, um dich zu sehen«, sagte Beverly und deutete auf den Mann und die Frau, die sich von ihren Stühlen erhoben hatten, um ihn zu begrüßen. »Um dir eine Alternative anzubieten. Sie kommen von der Evensong School in Maine. Eine sehr gute Schule, wie ich hinzufügen darf.«
    Julian erkannte den Mann, der ihn besucht hatte, als er noch im Krankenhaus gelegen hatte. Das war eine verwirrende Zeit gewesen; er war von den Schmerzmitteln ganz benebelt gewesen, und in seinem Zimmer hatten sich Kriminalpolizisten, Schwestern und Sozialarbeiter die Klinke in die Hand gegeben. Er erinnerte sich nicht an den Namen des Mannes, aber er erinnerte sich sehr genau an diese durchdringenden Augen, die ihn auch jetzt so intensiv fixierten, dass er das Gefühl hatte, alle seine Geheimnisse würden mit einem Mal bloßgelegt. Aus der Fassung gebracht von diesem Blick, wandte Julian sich stattdessen der Frau zu.
    Sie war in den Dreißigern, superschlank, mit schulterlangen braunen Haaren. Obwohl sie mit ihrem grauen Kostüm ganz konservativ gekleidet war, war es doch unmöglich zu übersehen, dass sie verdammt scharf war. Die Art, wie sie dastand, die schmalen Hüften verwegen abgeknickt, und ihn mit zur Seite geneigtem Kopf provozierend ansah, hatte irgendwie etwas von einer Straßengöre an sich.
    »Hallo, Julian«, sagte die Frau. Sie lächelte und hielt ihm die Hand hin, als ob sie einen gleichgestellten Erwachsenen begrüßte. »Ich heiße Lily Saul. Ich unterrichte Klassische Altertumswissenschaft.« Sie hielt inne, als sie seinen verständnislosen Blick bemerkte. »Weiß du, was damit gemeint ist?«
    »Tut mir leid, Ma’am, nein.«
    »Die Geschichte der alten Griechen und Römer. Absolut faszinierend.«
    Er senkte den Kopf. »Ich hab ’ ne Vier in Geschichte.«
    »Vielleicht kann ich das ändern. Bist du schon mal mit einem Streitwagen gefahren? Hast du schon mal einen Gladius geschwungen, das Kurzschwert der römischen Soldaten?«
    »So was machen Sie an Ihrer Schule?«
    »All das und noch viel mehr.« Sie sah, wie er von plötzlichem Interesse beseelt den Kopf hob, und lachte. »Siehst du? Geschichte kann viel

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