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Totengrund

Totengrund

Titel: Totengrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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das macht es leichter für mich – zu wissen, dass ich derjenige bin, der sich entscheiden muss?«
    Sie hörte den Schmerz in seiner Stimme und dachte: Warum tun Menschen sich so etwas an? Was bringt zwei intelligente und anständige Menschen dazu, sich gegenseitig das Leben so zur Hölle zu machen? Sie hatte schon vor Monaten prophezeit, dass es so kommen würde; dass, wenn die Hormone sich einmal beruhigt hatten und ihre Affäre den Reiz des Neuen eingebüßt hätte, nur noch Bitterkeit und Reue zurückbleiben würden.
    »Ich will nur sichergehen, dass sie wohlauf ist«, sagte er. »Ich hätte Sie nicht belästigt, wenn ich mir nicht ernsthafte Sorgen machen würde.«
    »Ich weiß auch nicht immer, wo sie sich gerade aufhält.«
    »Aber könnten Sie mir den Gefallen tun und sich für mich nach ihr erkundigen?«
    »Wie denn?«
    »Rufen Sie sie an. Vielleicht haben Sie ja recht und sie blockt nur meine Anrufe. Unser letztes Gespräch war nicht …« Er hielt inne. »Wir sind nicht gerade im besten Einvernehmen auseinandergegangen.«
    »Sie haben sich gestritten?«
    »Nein. Aber ich habe sie enttäuscht. Das weiß ich.«
    »Das könnte der Grund sein, weshalb sie Sie nicht zurückruft.«
    »Trotzdem – es sieht ihr nicht ähnlich, dass sie nicht erreichbar ist.«
    In diesem Punkt hatte er recht. Maura war viel zu gewissenhaft, um für längere Zeit abzutauchen. »Ich werde sie anrufen«, versprach Jane und beendete das Gespräch. Sie war dankbar, dass ihr eigenes Leben in so ruhigen Bahnen verlief. Keine Tränen, keine dramatischen Szenen, keine verrückten Hochs und Tiefs. Nur die beglückende Gewissheit, dass in diesem Moment ihr Mann und ihre Tochter zu Hause auf sie warteten. Überall um sie herum, so schien es, durchkreuzten Beziehungswirren die Lebenspläne der Menschen. Ihr Vater hatte ihre Mutter wegen einer anderen Frau verlassen. Barry Frosts Ehe war vor einiger Zeit in die Brüche gegangen. Niemand verhielt sich so, wie man es von ihm oder ihr kannte und erwartete. Während sie Mauras Nummer wählte, fragte sie sich: Bin ich etwa die Einzige hier, die noch normal ist?
    Es läutete viermal, dann hörte sie die Ansage: »Hier ist der Anschluss von Dr. Isles. Ich bin im Moment nicht zu sprechen, wenn Sie mir aber eine Nachricht hinterlassen, werde ich Sie so bald wie möglich zurückrufen.«
    »Hallo, Maura, wir fragen uns alle, wo du steckst«, sagte Jane. »Ruf mich doch mal an, okay?« Sie legte auf und starrte ihr Handy an, während ihr alle möglichen Gründe durch den Kopf gingen, weshalb Maura nicht drangegangen war. Kein Empfang. Leerer Akku. Oder vielleicht genoss sie einfach gerade ein paar schöne Stunden in Wyoming, weit weg von Daniel Brophy. Weit weg von ihrem Job, bei dem sie ständig mit Tod und Verwesung zu tun hatte.
    »Alles okay?«, rief Frost.
    Jane ließ das Handy in die Tasche gleiten und sah zu ihm hinüber. »Doch«, sagte sie, »ich denke schon.«

8
    »Also, was glaubt ihr, was hier passiert ist?« Elaines Aussprache war schon ein wenig undeutlich von zu viel Whisky. »Wo ist diese Familie abgeblieben?«
    Sie hockten dicht gedrängt um den Kamin, eingehüllt in Decken, die sie aus den kalten Schlafzimmern im Obergeschoss geholt hatten. Die Überreste ihres Essens lagen um sie herum auf dem Boden verstreut. Sie hatten Schweinefleisch mit Bohnen aus der Dose gegessen, dazu Käsemakkaroni, Salzcracker und Erdnussbutter. Ein kalorienreiches Festmahl, hinuntergespült mit einer Flasche billigem Whisky, den sie ganz hinten in der Speisekammer gefunden hatten, versteckt hinter Mehl- und Zuckersäcken.
    Das musste ihr Whisky sein, dachte Maura und erinnerte sich an die Frau auf dem Foto mit dem stumpfen Blick und der ausdruckslosen Miene. Die Speisekammer war genau der Ort, wo eine Hausfrau ihre heimlichen Schnapsvorräte aufbewahren würde: ein Ort, den ihr Mann nie allzu genau inspizieren würde – nicht, wenn er Kochen als Frauenarbeit betrachtete. Maura nahm einen kleinen Schluck, und während der Whisky ihr in der Kehle brannte, fragte sie sich, was eine Frau dazu bringen mochte, heimlich zu trinken, welcher Kummer sie Trost in der betäubenden Wirkung des Alkohols suchen ließ.
    »Okay«, sagte Arlo, »ich kann mir genau eine logische Erklärung für ihr Verschwinden vorstellen.«
    Elaine schenkte sich Whisky nach und gab nur einen kleinen Spritzer Wasser dazu. »Lass hören.«
    »Es ist Abendessenszeit. Die Frau mit der unmöglichen Frisur stellt das Essen auf den Tisch, und sie

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