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Totengrund

Totengrund

Titel: Totengrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Licht abgespannt und vorzeitig gealtert, sein Gesicht anämisch blass. Der Container war mit einem Sammelsurium schäbiger Möbel angefüllt. Jane sah ein zerschlissenes Sofa mit knallbuntem Blumenmuster, einen fleckigen Kunstledersessel und diverse Holzstühle, von denen keine zwei zueinanderpassten. Es waren so viele Möbel, dass sie sich an den Wänden drei Meter hoch stapelten.
    »Sie hat immer pünktlich bezahlt«, sagte Dottie Dugan. »Jeden Oktober habe ich einen Scheck mit der Miete für ein ganzes Jahr bekommen. Und das hier ist einer unserer größeren Container, drei mal neun Meter. Die sind nicht gerade billig.«
    »Und wer ist die Mieterin?«, fragte Jane.
    »Betty Ann Baumeister«, antwortete Frost. Er blätterte in seinem Notizbuch und las vor, was er sich aufgeschrieben hatte. »Sie hatte diesen Container elf Jahre lang gemietet. Die Adresse war in Dorchester.«
    »War?«
    »Sie ist tot«, erklärte Dottie Dugan. »Ein Herzinfarkt, hat man mir erzählt. Das war schon letztes Jahr im November, aber ich habe es erst erfahren, als ich versuchte, die Miete einzutreiben. Es war das erste Mal, dass sie mir keinen Scheck geschickt hatte, deshalb wusste ich, dass etwas nicht stimmte. Ich habe versucht, Verwandte von ihr ausfindig zu machen, aber außer einem senilen alten Onkel unten in South Carolina habe ich niemanden gefunden. Da kam sie nämlich her. Hatte einen Südstaatenakzent, sehr weich und angenehm. Ich dachte mir noch, wie schade – da ist sie nach Boston gezogen, so weit von zu Hause, nur um hier allein zu sterben. Das habe ich damals jedenfalls gedacht.« Sie lachte bedauernd und schauderte in ihrer dick gefütterten Jacke. »Man sieht es den Leuten einfach nicht an, was? So eine reizende Südstaatenlady. Ich hatte wirklich ein schlechtes Gewissen, weil ich ihre Sachen versteigern wollte, aber ich konnte sie ja auch nicht ewig hier herumliegen lassen.« Sie blickte sich um. »Nicht, dass das Zeug allzu viel wert wäre.«
    »Wo ist denn nun …«, begann Jane.
    »Da drüben an der Wand. Da ist auch die Steckdose.« Dottie Dugan führte sie durch das Labyrinth aus gestapelten Stühlen zu einer großen Kühltruhe. »Ich dachte mir, vielleicht lagert sie da teures Fleisch oder so etwas. Ich meine, wieso würde man sonst dieses Ding jahraus, jahrein laufen lassen, außer man hat da etwas drin, was sich einzufrieren lohnt?« Sie hielt inne und sah Jane und Frost an. »Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich Sie jetzt gerne sich selbst überlassen. Ich will das wirklich nicht noch einmal sehen.« Sie wandte sich ab und zog sich zur Tür zurück.
    Jane und Frost wechselten einen Blick. Es war Jane, die den Deckel anhob. Kalte Nebelschwaden stiegen aus der Truhe auf und verhüllten das, was darin lag. Dann verzogen sie sich und gaben den Blick auf den Inhalt frei.
    Eingehüllt in transparente Plastikfolie, starrte das Gesicht eines Mannes zu ihnen herauf. Weißer Reif bedeckte seine Augenbrauen und Wimpern. Sein nackter Körper war in Embryonalstellung zusammengeschoben, die Knie zur Brust hochgedrückt, damit er in die enge Truhe passte. Obwohl seine Wangen durch den Gefrierbrand wie ausgetrocknet wirkten, war seine Haut faltenlos, das jugendliche Fleisch konserviert wie ein guter Braten, den man in Folie packt und zum späteren Verzehr einfriert.
    »Als sie diesen Container gemietet hat, war das Einzige, worauf sie bestand, eine zuverlässige Stromversorgung«, sagte Dottie, das Gesicht abgewandt, um die Leiche in der Kühltruhe nicht sehen zu müssen. »Sie meinte, sie könne es sich nicht leisten, dass ihr der Strom abgestellt wird. Jetzt weiß ich, wieso.«
    »Wissen Sie sonst noch etwas über Ms. Baumeister?«, fragte Jane.
    »Nur was ich Detective Frost schon gesagt habe. Hat immer pünktlich bezahlt, und ihre Schecks waren immer gedeckt. Meine Mieter haben es meistens eilig, die wenigsten bleiben länger, um noch ein bisschen zu plaudern. Die meisten haben eine traurige Geschichte. Sie verlieren ihr Zuhause, und dann landen ihre Habseligkeiten hier bei uns. Da ist kaum etwas dabei, was sich zu versteigern lohnt. Meistens ist es so wie das hier.« Ihre Geste umfasste die schäbigen Möbel, die an den Wänden gestapelt waren. »Einen Wert hat das nur für die Leute, denen es gehört.«
    Jane ließ den Blick langsam über die Gegenstände schweifen, die Betty Ann Baumeister für wert befunden hatte, elf Jahre lang eingelagert zu werden. Bei einer Monatsmiete von zweihundertfünfzig Dollar hatte es

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