Totengrund
werfen können, und sie war makellos. Weißes Sofa, weißer Teppichboden, weiße Wände. Die Wohnung eines Paars, das durchdrehen würde bei dem Gedanken an klebrige Patschhändchen, die auch nur in die Nähe ihrer kostbaren Möbel kommen könnten.
»Es ist für dich«, sagte Gabriel und hielt ihr den Hörer hin.
»Die Nachbarn?«
»Daniel Brophy.«
Sie sah auf die Küchenuhr. Ein Anruf um Mitternacht? Da musste etwas passiert sein. Sie nahm das Telefon. »Daniel?«
»Sie war nicht im Flugzeug.«
»Was?«
»Ich komme gerade vom Flughafen. Maura war nicht in der Maschine, für die sie gebucht hatte. Und sie hat mich immer noch nicht zurückgerufen. Ich weiß nicht, was …« Er brach ab, und Jane hörte im Hintergrund wütendes Gehupe.
»Wo sind Sie?«, fragte sie.
»Ich fahre gerade in den Sumner-Tunnel. Wir werden wohl jeden Moment getrennt.«
»Warum kommen Sie nicht einfach vorbei?«, schlug Jane vor.
»Sie meinen, jetzt gleich?«
»Gabriel und ich sind beide wach. Wir sollten darüber reden. Hallo? Hallo?«
Der Tunnel hatte ihre Verbindung unterbrochen. Jane legte auf und sah ihren Mann an. »Sieht aus, als hätten wir ein Problem.«
Eine halbe Stunde später traf Pater Daniel Brophy ein. Inzwischen hatte Regina sich endlich in den Schlaf geweint; es war still in der Wohnung, als er eintrat. Jane hatte diesen Mann bei der Arbeit unter den schwierigsten Bedingungen erlebt; an Tatorten, wo schluchzende Angehörige sich Trost suchend an ihn gewandt hatten. Stets hatte er ruhige Stärke ausgestrahlt, und allein mit seiner Berührung und ein paar sanften Worten konnte er auch die schlimmste Verzweiflung lindern. Aber heute Nacht war es Brophy selbst, der verzweifelt wirkte. Er zog seinen schwarzen Wintermantel aus, und Jane sah, dass er nicht seinen Priesterkragen trug, sondern einen blauen Pullover und ein Hemd. Zivilkleidung, die ihn irgendwie verletzlicher wirken ließ.
»Sie war nicht am Flughafen«, sagte er. »Ich habe fast zwei Stunden lang gewartet. Ich weiß, dass ihre Maschine gelandet ist, und sämtliches Gepäck ist abgeholt worden. Aber sie war nicht da.«
»Vielleicht haben Sie sich verpasst«, meinte Jane. »Vielleicht ist sie aus dem Flugzeug gestiegen und hat Sie nicht finden können.«
»Dann hätte sie mich angerufen.«
»Haben Sie versucht, sie anzurufen?«
»Mehrmals, ohne Erfolg. Ich habe sie das ganze Wochenende nicht erreichen können – seit ich mit Ihnen gesprochen habe.«
Und ich habe seine Befürchtungen abgetan , dachte sie mit einem Anflug von schlechtem Gewissen.
»Ich mach uns einen Kaffee«, sagte sie. »Ich glaube, den werden wir brauchen.«
Wenig später saßen sie im Wohnzimmer, Jane und Gabriel auf dem Sofa, Brophy im Sessel. Die Wärme der Wohnung hatte keine Farbe in sein Gesicht gebracht; seine Wangen waren immer noch bleich, und er hatte beide Hände auf den Knien zu Fäusten geballt.
»Dann war also Ihr letztes Telefonat mit Maura nicht gerade erfreulich«, meinte Jane.
»Nein. Ich … Ich musste es abrupt beenden«, gab Brophy zu.
»Warum?«
Seine Miene wurde noch verbissener. »Wir sollten hier über Maura sprechen, nicht über mich.«
»Wir sprechen ja über sie. Ich versuche zu verstehen, in welcher Gemütsverfassung sie war. Glauben Sie, dass sie sich vor den Kopf gestoßen fühlte, als Sie das Gespräch abbrachen?«
Er senkte den Blick. »Wahrscheinlich schon.«
»Haben Sie sie zurückgerufen?«, fragte Gabriel mit seiner professionellen Stimme.
»Nicht am gleichen Abend. Es war schon spät. Ich habe erst am Samstag wieder versucht, sie zu erreichen.«
»Und sie ging nicht dran.«
»Nein.«
»Vielleicht hat sie sich nur über Sie geärgert«, meinte Jane. »Wissen Sie, das letzte Jahr war nicht gerade einfach für sie. Immer verheimlichen zu müssen, was zwischen Ihnen beiden lief.«
»Jane«, fiel ihr Gabriel ins Wort. »Das bringt uns nicht weiter.«
Brophy seufzte. »Aber ich habe es verdient«, sagte er leise.
Allerdings. Du hast dein Gelübde gebrochen, und jetzt brichst du ihr das Herz.
»Denken Sie, dass Mauras Gemütszustand eine Erklärung sein könnte?«, fragte Gabriel, wieder mit seiner nüchternen Stimme. Von den dreien war er der Einzige, der logisch an die Sache heranzugehen schien. Sie hatte ihn schon öfter in angespannten Situationen so reagieren sehen, hatte beobachtet, wie ihr Mann immer ruhiger und konzentrierter geworden war, je mehr alles und alle um ihn herum im Chaos versunken waren. Wenn Gabriel Dean mit
Weitere Kostenlose Bücher