Totengrund
namens Elaine Salinger wurde soeben als vermisst gemeldet. Sie hätte gestern wieder an ihrem Arbeitsplatz in San Diego sein sollen, ist aber offenbar nicht aus dem Urlaub zurückgekehrt. Und sie war auch nicht auf ihrem gebuchten Flug von Jackson Hole.«
San Diego. Douglas Comley war auch aus San Diego.
»Offenbar haben sie sich alle gekannt«, fuhr Queenan fort. »Elaine Salinger, Arlo Zielinski und Douglas Comley. Sie waren befreundet und hatten alle drei am selben Tag ihren Rückflug gebucht.«
Jane hörte das Rauschen ihres eigenen Pulsschlags in den Ohren. Ein Bild tauchte urplötzlich vor ihrem inneren Auge auf, das Bild einer zerrissenen Bordkarte, die sie in der Schlucht aus dem Schnee aufgelesen hatte. Der Fetzen Papier mit dem Fragment des Passagiernamens: inger.
Salinger.
»Wie hat diese Frau ausgesehen?«, fragte sie. »Wie alt, wie groß?«
»Ich habe die letzte Stunde damit zugebracht, genau das herauszufinden. Elaine Salinger ist neununddreißig Jahre alt, einen Meter achtundsechzig groß, fünfundfünfzig Kilo schwer. Und brünett.«
Jane sprang auf. Die Kirche hatte sich noch nicht ganz geleert, und sie musste sich an Nachzüglern vorbeidrängen, als sie durch den Mittelgang zum Ausgang lief. Sie erreichte ihn im gleichen Moment, als der Leichenwagen anfuhr.
»Anhalten!«, rief sie.
Gabriel drehte sich zu ihr um. »Jane?«
»Wie heißt das Krematorium? Weiß das jemand hier?«
Sansone blickte verwirrt zu ihr auf. »Ich habe mich um alles gekümmert. Was ist das Problem, Detective?«
»Rufen Sie dort an, sofort ! Sagen Sie, die Leiche darf nicht verbrannt werden.«
»Warum nicht?«
»Wir müssen sie in die Rechtsmedizin bringen.«
Dr. Abe Bristol starrte auf die verhüllte Leiche, machte jedoch keine Anstalten, sie aufzudecken. Für einen Mann, dessen Arbeitsalltag darin bestand, die Körper Verstorbener aufzuschneiden, wirkte er auffallend zögerlich, als es darum ging, das Laken zurückzuschlagen. Die meisten der in diesem Raum Versammelten hatten dem Tod schon in vielfältiger Gestalt ins Auge geblickt, doch sie alle scheuten den Anblick dessen, was sich unter diesem Tuch verbarg. Bisher hatte nur Yoshima den Leichnam zu Gesicht bekommen, als er gleich nach ihrem Eintreffen die Röntgenaufnahmen gemacht hatte. Jetzt stand er weit weg vom Tisch, als sei er so traumatisiert, dass er nichts mehr damit zu tun haben wollte.
»Das ist eine Obduktion, die ich mir liebend gerne ersparen würde«, sagte Bristol.
»Irgendjemand muss sich diese Leiche anschauen. Irgendjemand muss uns eine endgültige Antwort geben.«
»Ich bin mir nur nicht so sicher, ob uns diese Antwort auch gefallen wird – das ist das Problem.«
»Sie haben sie ja noch nicht einmal angeschaut.«
»Aber ich kann die Röntgenbilder sehen.« Er deutete auf die Aufnahmen des Schädels, der Wirbelsäule und des Beckens, die Yoshima am Leuchtkasten befestigt hatte. »Ich kann Ihnen sagen, dass sie durchaus zu einer Frau von Mauras Größe und Alter passen. Und diese Frakturen sind genau die Verletzungen, die man bei einem unangeschnallten Fahrgast erwarten würde.«
»Maura hat sich immer angeschnallt«, entgegnete Jane. »Sie war da regelrecht zwanghaft. Sie kannten sie doch.« Kannten. Ich kann nicht aufhören, in der Vergangenheit zu sprechen. Ich kann nicht recht glauben, dass diese Untersuchung irgendetwas ändern wird .
»Sie haben recht«, sagte Bristol. »Sich nicht anzuschnallen, das passt ganz und gar nicht zu ihr.« Er zog Handschuhe an und schlug widerstrebend das Laken zurück.
Noch ehe Jane die Leiche erblickte, zuckte sie zurück und hielt sich die Hand vor die Nase, um sich vor dem Geruch des verbrannten Fleischs zu schützen. Würgend wandte sie sich ab und sah in Gabriels Gesicht. Wenigstens er schien standhaft zu bleiben, doch der entsetzte Ausdruck in seinen Augen war nicht zu verkennen. Sie zwang sich, den Blick wieder zum Tisch zu wenden, den Körper anzuschauen, von dem sie alle geglaubt hatten, er gehöre Maura.
Es war nicht das erste Mal, dass Jane eine verkohlte Leiche sah. Einmal war sie bei der Obduktion von drei Opfern einer Brandstiftung dabei gewesen – zwei kleine Kinder und ihre Mutter. Sie hatte noch den Anblick dieser drei Leichen auf den Seziertischen vor Augen, an ihre nach vorn gereckten Arme, die an Boxer in Kampfpose erinnerten. Die Frau, die sie jetzt sah, war in der gleichen Haltung erstarrt, ihre Sehnen durch die extreme Hitze verkürzt.
Jane trat noch einen Schritt näher
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