Totenhauch
kurieren, doch beides half nicht. Als ich das Vitamin C und das Ibuprofen aus meinem Apothekenschrank holte, bemerkte ich ganz hinten Essies Ewiges Leben.
Gut gegen das, was dich quält , hatte sie gesagt. Laut Dr. Shaw wurde es aus einer Pflanze gewonnen, die zur Familie der Gänseblümchen gehörte, und hatte die gleiche Wirkung wie eine Vitaminspritze. Genau das Richtige. Ich erwartete nicht, dass dieses Kraut Wunder wirkte, doch ich glaubte an die Heilkraft von natürlichen Arzneien, die es schon seit einer Ewigkeit gab.
Ich überbrühte die Blätter und nahm eine Tasse des Gebräus mit ins Bett. Dann lehnte ich mich mit dem Rücken an das Kopfteil und nippte erst einmal vorsichtig an dem Tee. Er schmeckte süß und bitter zugleich. Überhaupt nicht unangenehm. Ich trank die Tasse halb aus, stellte sie dann auf den Nachttisch und kuschelte mich unter die Bettdecke, wo ich sofort einschlief.
Als ich wieder aufwachte, fühlte ich mich viel besser. Entweder das Ewige Leben hatte gewirkt oder mir hatte nichts gefehlt außer einem langen traumlosen Nickerchen.
Draußen war inzwischen die Dämmerung hereingebrochen, und die Luft hatte sich abgekühlt. Eine Weile lag ich einfach nur da und genoss das Gefühl, dass es mir wieder gut ging, dann trank ich den Rest des inzwischen nur noch lauwarmen Tees. Anschließend stieg ich aus dem Bett, schlüpfte in ein schwarzes Kleid und kam – wie es heutzutage in war – ein bisschen verspätet im Charleston Institute for Parapsychological Studies an.
Die Nacht war lau, und das Haus war hell erleuchtet, die Türen standen weit offen, sodass ich eine Vorstellung bekam, wie die große alte Vorkriegsvilla in ihren Hochzeiten ausgesehen haben musste. Als ich die Augen schloss, war mir, als könnte ich die sanften Klänge einer Geige hören und das Rascheln der Reifröcke, die über die Tanzfläche glitten.
Wieder war es die blonde junge Frau, die mich durch den Seiteneingang ins Haus ließ, und sie verschwand mit meinem Geschenk – der Nachbildung eines Satzes von Visconti-Sforzas handgemalten Tarotkarten aus dem fünfzehnten Jahrhundert – den Flur hinunter. Als ich den Raum betrat, der voller Menschen war, die ich noch nie gesehen hatte, wollte ich am liebsten sofort auf dem Absatz umkehren und auf dem gleichen Weg wieder verschwinden, auf dem ich gekommen war. Doch dann entdeckte ich Temple, die sich am anderen Ende des Raums mit jemandem unterhielt. Sie winkte mich zu sich hinüber.
»Ich wusste nicht, dass du auch kommst«, sagte ich, nachdem ich mir den Weg durch die Menschenmenge gebahnt hatte. »Bist du extra wegen der Party den ganzen Weg hierhergefahren?«
»Ich hatte geschäftlich sowieso in Charleston zu tun.« Sie nahm ein Glas Champagner von einem Tablett, das gerade vorbeigetragen wurde, und gab es mir. Seit dem Tag der Exhumierung hatte ich sie nicht mehr gesehen. Sie sah heute Abend ganz anders aus als sonst, in einem eng anliegenden silberfarbenen Kleid, das im Licht glänzte wie Quecksilber.
Da drehte ihr Begleiter sich zu mir um, und ich erkannte Daniel Meakin.
»Du erinnerst dich doch noch an Daniel?«, fragte Temple und konnte ihre Verachtung kaum verbergen.
»Natürlich. Nett, Sie wiederzusehen.«
»Ganz meinerseits«, erwiderte er mit einem warmen Lächeln. »Ich habe Sie in letzter Zeit gar nicht mehr im Archiv gesehen.«
»Da man Oak Grove erst einmal auf Eis gelegt hat, muss ich da jetzt nicht mehr hin. Ich arbeite inzwischen auf einem anderen Friedhof.«
Er runzelte die Stirn. »Das ist sehr schade. Ich hatte große Hoffnungen in diese Sanierung gesetzt. Wissen Sie wenigstens ungefähr, wann Sie dort werden weitermachen können?«
Bevor ich darauf antworten konnte, kniff Temple mich in den Arm. »Hast du Rupert schon begrüßt?«
»Ich … bin gerade erst gekommen.« Das wusste sie, denn sie hatte mich ja hereinkommen sehen.
Sie hängte sich bei mir ein und zog mich sanft weg. »Wir sollten ihn suchen und ihm gratulieren. Ich glaube, ich habe gesehen, wie er in sein Büro gegangen ist. Würdest du uns bitte entschuldigen, Daniel?«
»Oh … natürlich.« Er wirkte ein wenig verloren, als wir weggingen.
»Ich habe schon befürchtet, ich würde den nie mehr los«, brummte Temple. »Ich war kaum durch die Tür, da hat er sich an mir festgesaugt wie ein Blutegel.«
»Pssst. Er kann dich hören.«
»Das ist mir egal. Der Knabe ist mir nicht geheuer.«
»Das hast du schon erwähnt.« Ich schaute mich um. »Ichfinde ihn
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