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Totenhauch

Totenhauch

Titel: Totenhauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Stevens
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um meine Gefühle im Griff zu behalten. »Was können wir tun? Wie geht es jetzt weiter?«
    »Morgen früh werde ich operiert.«
    »So schnell?«
    Sie tätschelte meine Hand. »Es ist nicht so schnell. Ich weiß es schon eine ganze Weile.«
    »Seit wann?« Und im gleichen Moment fiel es mir wie Schuppen von den Augen. »Deshalb bist du zu deinem Geburtstag nach Charleston gekommen. Da hast du es schon gewusst. Warum hast du mir nichts gesagt?«
    »Wir hatten so eine schöne Zeit, ich wollte sie uns nicht verderben. Und hinterher   … ich wollte, dass du es erst erfährst, wenn es sich absolut nicht mehr vermeiden lässt.«
    »Warum? Ich hätte für dich da sein können.« Irgendwie fühlte ich mich hintergangen, weil sie mir kein Wort gesagt hatte.
    »Ich hatte doch Lyn. Sie hat sich gut um mich gekümmert.«
    »Ich hätte da sein sollen.«
    »Du hättest nichts tun können. Und du hattest deine Arbeit.«
    »Aber trotzdem   …«
    »Amelia«, fiel Tante Lynrose mir kopfschüttelnd ins Wort. Ich verstummte und starrte fast böse aus dem Fenster in den Sonnenuntergang über dem Ashly River, der mir vorkam wie ein unerträgliches Omen.
    »Ich gehe davon aus, dass ich in ein paar Tagen wieder zu Hause bin«, sagte meine Mutter in munterem Ton. »Da werden Schläuche und Drainagen sein   … eine Menge unangenehmes Zeug. Ich möchte nicht, dass du dich damit abgeben musst. Und dann kommt natürlich die Chemo   …«
    Ich konnte es nicht fassen, dass sie so ruhig über diese Dinge sprechen konnte. Ich hatte meine Mutter immer für schwach und zerbrechlich gehalten, und die pragmatische Haltung, die sie angesichts der verheerenden Diagnose an den Tag legte, verblüffte mich. Sie hatte eine schwere Operation vor sich, wochenlange Chemotherapie, und ihre größte Sorge war, dass ich mich nicht mit Schläuchen und Drainagen abgeben musste.
    Lynrose hatte bisher die Tapfere gespielt, aber jetzt begann sie leise in ein Leinentaschentuch zu weinen.
    »Lyn«, schalt meine Mutter sie, »um Himmels willen!«
    »Ich weiß, ich weiß, Magnolien aus Stahl und so. Aber deine Haare,Etta. Du wirst deine wunderschönen Haare verlieren.«
    »Es sind nur Haare«, gab meine Mutter forsch zurück. »Vielleicht wächst es lockig nach. Wäre das nicht ein Ding, nachdem ich die ganzen Jahre so viel Geld für die Dauerwelle ausgegeben habe?«
    Ich kämpfte mit den Tränen und schüttelte ihr Kissen auf, schenkte ihr ein Glas Wasser ein, und als es nichts mehr zu tun gab, musste ich das Offensichtliche fragen.
    »Wo ist Papa?«
    »Er ist ein Mann und deshalb in so einer Situation nicht zu gebrauchen«, antwortete meine Tante, die, soweit ich wusste, in ihrem ganzen Leben nie eine ernsthafte Beziehung mit einem Mann gehabt hatte, geschweige denn, dass sie je mit einem verheiratet war.
    »Er war heute Nachmittag hier«, sagte meine Mutter. »Ich habe ihn weggeschickt, damit er ein wenig frische Luft schnappen kann. Er konnte es in geschlossenen Räumen noch nie aushalten.«
    »Wirklich? Das wusste ich nicht.«
    »Was deinen Vater angeht, gibt es viele Dinge, die du nicht weißt«, erwiderte sie, und dabei schwang etwas in ihrer Stimme mit, sodass ich aufblickte. Aufmerksam betrachtete ich ihre   Züge.
    »Etta, ich glaube nicht, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist   …«
    »Still, Lyn. Das ist etwas zwischen meiner Tochter und mir. Es besteht die Gefahr, dass ich diese Operation nicht überlebe.« Als meine Tante und ich protestieren wollten, hob sie die Hand. »Die Gefahr ist ganz klein , aber nichtsdestotrotz   … es gibt da etwas, was du über Caleb wissen musst   …«
    Lynrose presste die Lippen aufeinander und holte ihr Strickzeug hervor. Sie beugte den Kopf über ihre Arbeit, aber ich wusste, dass sie von unten zu uns hochschielte. Und ich konnte die Anspannung spüren, die von ihr ausstrahlte.
    »Mama, worum geht es?«, fragte ich mit sanfter Stimme. Wusste sie von den Geistern? Wusste sie von mir?
    Sie zögerte, und zum ersten Mal an diesem Nachmittag sah ich einen Riss in ihrem Stahl, eine Andeutung von der zarten, wehmütigen Frau, die mich adoptiert, großgezogen und geliebt hatte. Die aber nie zugelassen hatte, dass ich sie wirklich kannte.
    Nur das Klacken der Stricknadeln meiner Tante durchbrach die Stille, und ich fragte mich, ob sie tatsächlich Maschen bewegte oder ob sie nur so tat.
    »Dein Vater   …«
    Ich beugte mich vor. Ich glaube, meine Tante auch. »Ja?«
    »Dein Vater   …« Der Blick meiner Mutter begann

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