Totenhauch
erzählt, als Mariama und Shani ums Leben gekommen waren. Und später war Devlin zu mir nach Hause gekommen und hatte mich geküsst, aber ich versuchte, nicht darüber nachzudenken.
Da die Bürotüren jetzt offen waren, standen immer mehr Leute Schlange, um Dr. Shaw zu begrüßen. »Ich sollte auch Hallo sagen.«
Ethan nickte. »Wie ich schon sagte, er ist schlecht drauf, aber ich bin sicher, dass er sich sehr freuen wird, Sie zu sehen.«
Ich hatte allerdings den Eindruck, als wäre Dr. Shaw gut drauf. Von dem zerzausten, argwöhnischen Mann, der überzeugt gewesen war, jemand stehle ihm sein Lebenswerk, war nichts mehr zu sehen. Ich hätte mich gern nach alldem erkundigt, doch eine Geburtstagsfeier war wohl kaum der passendeAnlass, um etwas so offensichtlich Unangenehmes zur Sprache zu bringen.
Er beobachtete mich mit wachen Augen, während er den Brandy in seinem Glas kreisen ließ. »Wie ist es Ihnen ergangen, Amelia? Irgendwelche weiteren Vorkommnisse, von denen ich wissen sollte?«
»Gott sei Dank nicht. Keine weiteren Schattenwesen, keine weiteren Psycho-Vampire. Was paranormale Dinge angeht, ist mein Leben zurzeit ziemlich ereignislos.«
Jemand hatte sich neben ihn gestellt, und als Dr. Shaw sich abwandte, um diesem Jemand die Hand zu schütteln, sah ich das silberne Funkeln seines Ringes. Bis jetzt hatte ich nie erkennen können, was in den Stein graviert war, aber nachdem ich nun Daniel Meakins Zeichnung gesehen hatte, war es ganz klar eine Schlange, die sich an einer Kralle emporwand.
Das gleiche Symbol, das Devlin um den Hals trug.
Ich riss mich vom Anblick des Ringes los und betrachtete die Gesichter der Leute, die sich inzwischen um Dr. Shaw versammelt hatten. Es waren alles gut gekleidete, gebildete Intellektuelle unterschiedlichsten Alters. Emersons Elite. Ich fragte mich, wie viele von ihnen wohl irgendwo versteckt am Körper das gleiche Symbol trugen.
Entschuldigungen murmelnd schlüpfte ich aus dem Büro und ging den Flur hinunter, denn ich bekam in diesem Haus ein seltsam klaustrophobisches Gefühl und eine unerklärliche Paranoia. Hier war zwar niemand, der irgendeinen Grund hatte, mir etwas anzutun, doch ich musste die ganze Zeit daran denken, was Dr. Shaw neulich über den Mörder gesagt hatte. Es könnte jemand aus unseren eigenen Reihen sein. Jemand, den wir nie verdächtigen würden …
Eine Hand legte sich auf meine Schulter, und ich fuhr herum und fasste mir ans Herz. »Ethan! Haben Sie mich aber erschreckt!«
»Entschuldigen Sie«, erwiderte er zerknirscht. »Sie wollen sich doch wohl hoffentlich nicht jetzt schon davonschleichen, oder?«
»Ich fürchte schon. Leider muss ich in aller Herrgottsfrühe aufstehen, damit ich der Hitze zuvorkomme.«
»Also, das ist wirklich schade. Aber ich verstehe das. Bei mir geht es morgen auch schon früh los.«
Interessiert sah ich ihn an. »Arbeiten Sie an einem neuen Fall?«
»Ja. Gerade heute hat man Gebeine gefunden.«
»In Oak Grove?«, fragte ich mit klopfendem Herzen.
»Nein, nicht in Oak Grove. An der Front gibt es Gott sei Dank nichts Neues.«
»Ich frage mich schon die ganze Zeit … konnten Sie das Skelett eigentlich identifizieren, das Devlin und ich in der Kammer entdeckt haben? In der Zeitung habe ich nichts darüber gelesen.«
»Wir haben keinen Namen, aber ich habe ein paar interessante Besonderheiten entdeckt.«
»Dürfen Sie mir erzählen, worum es sich dabei handelt?«
Er lehnte sich mit der Schulter an die Wand. »Ich weiß sogar noch was Besseres, je nachdem, wie zartbesaitet Sie sind.«
Ich verzog das Gesicht. »Solange keine Spinnen damit zu tun haben, sollte es eigentlich kein Problem sein.«
»Keine Spinnen, das verspreche ich. Kommen Sie morgen Nachmittag in die Pathologie der MUSC , dann zeige ich Ihnen, was wir gefunden haben.«
Die Pathologie. Vielleicht war ich ja doch zartbesaitet, zumindest ein ganz kleines bisschen.
»Ist das erlaubt?«
»Sie sind doch eine der Sachverständigen im Oak-Grove-Fall, oder? Das hat zumindest in der Zeitung gestanden.«
»Das ist eine sehr freie Interpretation.«
»Das sollte aber genügen. Rufen Sie mich an, wenn Sie da sind, dann komme ich raus und hole Sie ab. In der Zwischenzeit …« Er streckte sich durch. »Wenn Sie immer noch entschlossen sind, so früh zu gehen, dann erlauben Sie mir wenigstens, Sie zum Wagen zu begleiten. Es gibt da etwas, worüber ich gern mit Ihnen reden würde.«
Ich ging kurz zurück und verabschiedete mich von Temple. Ethan
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