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Totenhauch

Totenhauch

Titel: Totenhauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Stevens
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zu flackern. Sie schaute an mir vorbei, und als ich mich umdrehte, sah ich Papa im Türrahmen stehen. Einen Moment lang blieb er dort stehen, mit wettergegerbtem Gesicht und erschöpfter Miene, dann wandte er sich wortlos um und ging zurück auf den Gang.
    Hastig drehte ich mich wieder zu meiner Mutter um. »Warum kommt er nicht herein?«
    »Ich gehe davon aus, damit wir noch ein bisschen Zeit für uns haben.«
    »Sag das nicht so! Es klingt so endgültig«, flehte ich sie an und musste dabei unwillkürlich an Devlin und seine versäumten Abschiede denken.
    »So habe ich das nicht gemeint.«
    »Mama, erzähl mir von Papa.«
    Sie und meine Tante wechselten einen Blick.
    »Dein Vater ist ein komplizierter Mann mit einer komplizierten Vergangenheit«, sagte Lynrose. »Vielleicht wäre es am besten, wenn man es dabei belässt.«
    »Mit einer komplizierten Vergangenheit?« Ich wandte mich wieder meiner Mutter zu. »Was heißt das?«
    Ich konnte meiner Mutter ansehen, wie sie mit sich kämpfte.In ihr tobte eine Schlacht, die darüber entschied, wie viel sie mir gegenüber preisgeben würde. Seufzend schloss sie die Augen. »Alles, was du wirklich wissen musst, ist, dass er dich liebt. Mehr als irgendetwas anderes auf der Welt, und das schließt mich mit ein.«
    Das war ganz und gar nicht das, was sie hatte sagen wollen. Ich kannte sie gut genug, um das zu durchschauen.
    »Mama   …«
    »Ich bin jetzt müde. Ich denke, ich werde ein bisschen schlafen.«
    »Das ist das Beste«, murmelte Lynrose.
    Da ich meine Mutter am Abend vor der Operation nicht aufregen wollte, ließ ich die Sache auf sich beruhen. Nach einer Weile stand ich auf, schlüpfte aus dem Zimmer und ließ meine Mutter und meine Tante allein, worauf die beiden sofort miteinander zu flüstern begannen, wie sie es früher auf unserer Veranda getan hatten.
    Als ich nach draußen auf den Gang trat, war Papa nirgendwo zu sehen.
    Zwei Tage später wurde meine Mutter aus dem Krankenhaus entlassen, und ich brachte sie nach Hause, um bei ihr in Trinity zu bleiben, bis sie und meine Tante mich überredeten, nach Charleston zurückzukehren.
    »Du hast eine Firma, die du leiten musst, und es gibt keinen Grund, warum du dich finanziell in die Bredouille bringen solltest, während ich nichts habe außer Zeit«, beharrte Lynrose, und meine Mutter bestärkte sie.
    An meinem letzten Abend in Trinity hatte Papa gleich nach dem Abendessen das Haus verlassen, und so machte ich mich auf den Weg nach Rosehill, um mich dort von ihm zu verabschieden. Ich sog den Duft der Rosen, die den Gehweg säumten, tief ein. Papa war bei den Engeln und wartete darauf, dassihre kalten Gesichter im warmen Glanz der sinkenden Sonne zum Leben erwachten.
    Nach dem kurzen Schauspiel der Natur drehte er sich um und sah an mir vorbei zum Tor. Ich wusste, dass er nach dem Geist suchte. Seine Furcht war berechtigt, denn die Dämmerung nahte.
    »Hast du ihn noch einmal gesehen, Papa?«
    »Ich sehe ihn in letzter Zeit immer öfter.«
    Bei dieser Eröffnung gefror mir das Blut in den Adern. »Was will er?«
    Papa drehte sich zu mir, und als ich die Tränen auf seinem Gesicht glänzen sah, war ich so erschüttert, dass ich verstummte. Ich hatte noch nie erlebt, dass er Gefühle zeigte. Auch er war meistens ein reiner Kopfmensch, genau wie ich.
    Und dann kam es mir. Ich schlug mir die Hand vor den Mund.
    »Papa   … glaubst du, er ist gekommen, um Mama zu holen?«
    Zitternd schloss er die Augen. »Wenn ich nur wüsste, mein Kind. Wenn ich das nur wüsste.«
    Mein Heimweg nach Charleston war eine lange und einsame Fahrt. Unterwegs hörte ich meine Mailbox ab. Eine Nachricht von Ethan Shaw, eine von Temple, keine von Devlin.
    Ethan hatte mich zu einer kleinen Zusammenkunft ins Charleston Institute for Parapsychology Studies eingeladen, wo am Freitag der siebzigste Geburtstag seines Vaters gefeiert wurde.
    Ich betrat mein dunkles Haus, und ich fragte mich unwillkürlich, ob meine Mutter an ihrem nächsten Geburtstag wohl noch unter uns sein würde.

SECHSUNDDREISSIG
    Als ich am Morgen von Dr. Shaws Party aufwachte, fühlte ich mich träge und irgendwie unwohl. Ich fragte mich, ob ich mir vielleicht irgendetwas eingefangen hatte oder ob die Sorgen um meine Mutter ihren Tribut forderten. Nach ein paar Stunden Arbeit auf dem Friedhof war ich ganz wackelig auf den Beinen und hatte Schüttelfrost.
    Am frühen Nachmittag machte ich Feierabend und fuhr nach Hause, um mich mit einem heißen Bad und einem Tee zu

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