Totenheer (German Edition)
Kentaren.
„Woran leidet deine Tochter?“ fragte der Unsterbliche den Schäfer.
„Vor zehn Tagen stürzte sie vom Pferd. Beim Aufprall zog sie sich eine schlimme Verletzung am Bein zu. Die Wunde hat sich seitdem stark entzündet und eitert. Mein Weib Tavia wechselt jeden Tag den Verband, doch es nützt nichts.“
„Was lebt ihr auch so weit hier draußen, abseits jeder Straße und Siedlung?“ warf Wothar dem Mann vor.
„Wir haben uns hier niedergelassen, weil wir nichts mehr mit den Stadtmenschen zu tun haben wollten. Wir suchten ein Leben in Fri e den und Abgeschiedenheit, so wie einst die alten Klans.“
„Die alten Klans sind an ein solches Leben angepasst. B e reits mit dem Bau eures Gehöfts habt ihr versucht, ein Stück Zivilisation mit hierher zu bringen. Ihr lebt im Grunde nicht anders als die Städter auch.“
Die Tür des Hauses öffnete sich, und eine Frau kam hinau s gelaufen. „Es geht ihr schlechter“, weinte sie. „Liam, komm doch endlich wi e der rein, lass die Gebete und bleib bei unserer Tochter. Skena braucht uns beide an ihrer Seite.“
„Geh wieder ins Haus, Weib!“ fuhr der Schäfer sie an. „T a via, nochmal sage ich es nicht.“
Die Frau sah überrascht zu Larkyen und Wothar auf.
„Fremde?“ fragte sie. „Kommt ihr aus der Stadt? Vielleicht könnt ihr uns helfen, bitte kommt, seht euch unsere Tochter Skena an. Bitte, ihr dürft nicht Nein sagen!“
„Denk an unseren Auftrag“, mahnte Wothar den Unsterbl i chen. „Wir haben uns das Geschwätz dieses Mannes schon zu lange angehört. Und denk an deine Geliebte, sie wünscht sich deine rasche Rüc k kehr.“
Larkyen wusste, dass es an der Zeit war, endlich weiterz u reiten, he g te er doch längst einen Groll gegen den Schäfer und dessen törichtes Verhalten, doch der flehende Blick einer Mu t ter, die um das Leben ihrer Tochter fürchtete, ließ ihn inneha l ten. „Es wird nicht lange da u ern.“
Er stieg vom Pferd und folgte der Frau in die Hütte. Sie gi n gen durch einen spärlich eingerichteten Raum, wo in einem kleinen Kamin ein Feuer brannte. Schon jetzt roch Larkyen den käsigen Geruch einer Wundinfektion. Als die Frau den U n sterblichen in das Zimmer der Tochter führte, schlug ihm der Gestank noch viel stärker entgegen.
Auf einem Strohbett lag eine junge Frau, ihre Augen waren tief in den Höhlen versunken, und ihr Gesicht, dessen zarte Z ü ge an ein Leben in Frohsinn erinnerten, war bleich und eing e fallen. Nur kurz sah er sich ihre Verletzung am linken Bein an – ein offener Knochenbruch, der lediglich mit einigen Stofffe t zen verbunden und mit ein paar Ästen geschient worden war. Noch immer ragten feine Knochensplitter aus der Haut; an j e nen Stellen hatte sich das eitrige Fleisch bereits dunkel gefärbt.
Der Unsterbliche legte seine Hand auf ihre Stirn, die heiß vom Fieber war. Die Lebenskraft in ihrem Leib war kurz davor, zu erlöschen, und ihr Tod war sicher.
„Es tut mir leid“, flüsterte Larkyen. „Es ist zu spät, ihr hättet sie schon vor Tagen zu einem Heiler bringen müssen. Warum habt ihr es nicht getan?“
„Liam misstraut den Heilern. Er sagt ihre Künste taugen nichts.“
Die schnellen Schritte nackter Füße drangen an Larkyens Ohr. Liam kam in das Zimmer gestürmt.
„Es sind alles Scharlatane“, knurrte der Schäfer. „Und jetzt ve r lasse mein Heim. Nur der Nächtliche kann uns noch helfen. Meine Tochter wird leben, Skena wird leben!“
Die Frau begann zu weinen, sie sah ihren Mann aus wunden Augen an, ihre Lippen bebten, doch schien sie nicht zu wagen, ihre Vorwü r fe auszusprechen. Schweigend trat sie an das Bett ihrer Tochter und sank in sich zusammen.
„Lass uns weiterziehen, Larkyen“, hörte er Wothar rufen. „Hier kö n nen wir nichts mehr tun.“
„Ich weiß“, sagte der Unsterbliche.
Als sie das Gehöft verließen, war der sorgenvolle Ausdruck in Wothars Augen dem von Verwunderung gewichen.
„Warum hast du ihnen helfen wollen? Du kanntest diese Leute nicht, und bisher hast du mir nicht den Eindruck von Barmherzigkeit e r weckt.“
„Ich versuche, denen zu helfen, die meiner Hilfe wert sind und es verdienen. Jemand wie du würde es nicht verstehen.“
„Da magst du Recht haben“, grummelte Wothar. Der Kent a re warf einen flüchtigen Blick zurück und sagte: „Diese Leute glauben an Hirngespinste, an etwas, dass sie nicht einmal sehen oder anfassen können. Es wird kein Nächtlicher zu ihnen kommen, und ihre Tochter wird
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