Totenheer (German Edition)
mehr. Wir haben das richtige getan, und sie werden ni e mandem von uns erzählen, ihre Furcht hält sie im Zaum.“
„Es fällt schwer, den Krieg zu vergessen.“
„Den Bolwaren ergeht es sicher nicht anders.“
Kapitel 6 – Drohende Schatten
Sie zogen über eine weite Heidelandschaft. Selbst im Herbst standen die meisten Krautgewächse noch in voller Blüte. Ki e fern und Wacholdersträucher wiegten sich in einem frischen Windstoß. Vögel zwitscherten, zwischen den Gräsern zirpten vereinzelt noch Grillen, ein Fuchs verschwand hinter einer H e cke. Die Wildnis war für Larkyen der bevorzugte Ort zum L e ben. Er genoss die Ruhe und Abg e schiedenheit; die Hektik der Zivilisation war hier fern, und ihm war danach, erleichtert au f zuatmen. In solchen Momenten begann er manchmal darüber nachzudenken, wie sich die Welt wohl in tausend oder mehr Jahren verändern würde. Dann fragte er sich, ob die Wildnis bis dahin von Menschenhand gezähmt sein würde. Er ahnte b e reits, dass die Sterblichen eines fernen Tages ihren Wurzeln vol l ständig entwachsen und das Verständnis für ein Leben im Einklang mit der Natur verlieren würden. Dieser Tag würde für ihn ein schwarzer Tag sein.
Am Ufer eines Sees weidete eine Schafherde ohne Hirten. Nicht weit weg sahen sie ein Gehöft mit angrenzendem Stall. Beim Näherko m men schreckten sie einen Mann auf, der ihnen mit wilden Gesten b e deutete, doch lieber umzukehren. Er trug zerschlissene Kleidung aus Schafsfellen und war barfuss, sein Gesicht war dreckig, der Blick in seinen Augen der eines Eif e rers, und wenn seine zerzausten Haare im Wind flatterten, gab er das Musterbeispiel eines Wahnsinnigen ab.
Larkyen und Wothar hielten in ihrem Ritt inne.
„Bitte zieht weiter“, sagte der Mann beiläufig. „Ich bin in großer Not, verlasst mein Land, oder ihr werdet es bereuen.“
„Wie kannst du es wagen, dich als Herr über dieses Land aufzuspielen?“ knurrte Wothar erbost. „Die Südheide gehört niemandem, es gibt hier weder Besitzansprüche noch Wegzoll. Keiner kann uns drohen oder aufhalten , schon gar nicht ein Schäfer wie du.“
Der Mann reagierte nicht weiter, sondern kniete inmitten e i nes Kreises aus vier Metallschalen nieder. Dann schloss er se i ne Augen und begann Worte zu flüstern, die selbst der U n sterbliche nicht verstand.
Larkyen betrachtete die vier Metallschalen. In der Ersten brannte ein kleines Feuer, die zweite war mit Wasser gefüllt, die dritte beinhalt e te eine Hand voll Erde und die letzte war leer.
„Was tust du da?“ fragte Wothar. „Bist du etwa ein Hexer?“ In der Stimme des Kentaren schwang die offensichtliche Ve r achtung für j e de Art von Magie mit.
Der Mann öffnete langsam seine Augen und sah zu Wothar auf. „Nein“, antwortete er in ruhigem Ton. „Ich bin nur ein ei n facher Schäfer, doch ich wünschte manchmal, ich könnte H e xenwerk vollbringen. Ich spreche ein Gebet zu dem Nächtl i chen. Er ist unser Gott.“
„Mir scheint, du solltest eher bei Nacht zu deinem Gott b e ten“, höhnte Wothar und konnte sich ein breites Grinsen nicht unte r drücken. „Möglicherweise erhört er dich dann eher.“
„In meiner Not habe ich keine andere Wahl, und er wird mich auch jetzt erhören. Meine Tochter ist krank und liegt im Ste r ben. Ich bete zu ihm, damit er ihr hilft.“
„Wer ist der Nächtliche?“ fragte Larkyen. Die Neugier des Unster b lichen war geweckt, vermutete er doch einen Sohn der schwarzen Sonne hinter diesem Pseudonym. „Was ist das für ein Gott? Ich habe noch nie von ihm gehört.“
„Er ist der Gott der Nacht und er ist sehr gütig; er kann dem Tod trotzen und neues Leben schenken.“
„Hast du diesen Gott jemals gesehen?“
„Niemand hat ihn je gesehen. Die Nächte hier draußen sind lang und finster, musst du wissen.“
„Woher weißt du dann, dass er existiert?“
„Ich weiß in meinem Herzen, dass er existiert; er ist irgen d wo da draußen. Sei es im Feuer, im Wasser, in der Erde oder in der Luft, doch rufst du ihn, erscheint er stets bei Nacht.“
„Klingt fast nach einem Elementargeist“, sagte Wothar. „Ein Hirng e spinst.“
„Wenn du dem Nächtlichen erst gegenüberstehst, wirst du anders denken, Fremder. Spott und Hohn werden dir dann ve r gehen, und so wie er anderen das Leben bringt, so wird er dir den Tod bringen.“
„Jetzt drohst du mir schon wieder. Ich sollte dich erschl a gen, du Wicht.“
Mit einer Geste beschwichtige Larkyen den
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