Totenklage
Messingschüsseln herum. Richtiger Nahkampf findet in Pubs, in Seitengassen, an allen möglichen Orten statt, an denen man lieber nicht kämpfen würde. Man benutzt als Waffe, was gerade zur Hand ist. Es gibt keine Regeln. Man kann nicht würdevoll aufgeben und verbeugt sich auch nicht respektvoll vor demjenigen, der einen besiegt hat.
Bei Krav Maga geht es um die Realität. Um Zweckmäßigkeit. Bei Krav Maga sagt kein Ausbilder Sachen wie: » Und wenn der Angreifer das Schwert zückt …« Es geht nur darum, aus den vorhandenen Gegebenheiten das Beste zu machen. So schnell wie möglich von der Verteidigung in den Angriff überzugehen. Maximale Wirkung, maximaler Schaden. Schnell, hässlich, effektiv.
Bei meiner Polizeiausbildung in Hendon basierten die Selbstverteidigungskurse in erster Linie auf Jiu-Jitsu. Einigermaßen brauchbar und ganz nett anzusehen. Aber da war ich schon viel weiter. Seit Cambridge-Zeiten trainiere ich mit Lev Krav Maga, daher lag mein Hauptinteresse während der Ausbildung in Hendon darin, so wenig wie möglich zu zeigen, wie viel ich wirklich draufhatte. Ich schloss diesen Kurs mit der schlechtesten Note ab. Die kleine, weltfremde, unbeholfene Fiona. Das war das Bild, das sich alle von mir machten.
» Okay«, sage ich. Ich weiß ja, dass Lev nicht lockerlassen wird, bis ich es ihm erzähle. » Ich stand über dem Typen und hab ihm so lange zwischen die Beine getreten, bis ich die Zehen kaum noch spüren konnte.«
» Bleibende Schäden?«
» Ein geplatzter Hodensack. Abgesehen davon haben sie ihn wieder zusammengeflickt.«
» Was war mit deinen Vorgesetzten? Ärger?«
» Ja. Schon. Mehr als mir lieb war. Aber alle haben mir geglaubt, dass er angefangen hat. Ich hab gesagt, dass ich Angst hatte. Ich habe gesagt, dass er versucht hat, mich zu begrapschen, und ich deshalb zur Selbstverteidigung mit angemessener Gewalt reagiert habe.«
Lev, dessen Sinn für Humor üblicherweise so tief vergraben ist wie eine iranische Atomanlage, findet das lustig und wiederholt es zweimal: » Angemessene Gewalt. Angemessene Gewalt.« Dann ist sein Heiterkeitsvorrat erschöpft, und er wendet sich wieder anderen Dingen zu. Sein Tee ist kalt, der Joint fertig geraucht und Schostakowitsch verstummt. Also legt er etwas anderes auf und stellt den Teekessel wieder auf den Herd.
» Das war keine Angst. Sondern Trauma.«
Er sagt » Trauma« mit seiner ganz persönlichen Aussprache. Trou -ma. Trou -ma.
» Himmel noch mal, wie kommst du denn darauf? Jemand schlägt mich in meinem eigenen Flur zu Boden, da kriege ich natürlich Angst. Das ist doch kein Wunder.«
» Nicht das. Als der andere Kerl deine Brust gepackt hat.«
» Das war nichts Traumatisches. Ich habe überreagiert.«
» Genau. Und warum?«
» Warum? Lev, ich bin nicht du. Du hast dein halbes Leben lang auf diese Situationen hin trainiert. Ich nicht.«
Er schüttelt den Kopf. » Okay. Ich kenne Unerfahrenheit. Ich bin Trainer. Ich weiß das. Das ist keine Unerfahrenheit. Das ist das Trauma. Das Trauma macht dich ängstlich, dann wieder verrückt. Im Flur, beim Training, da hast du dich entschieden, keine Angst zu haben. Dann bist du verrückt geworden. In dir. Wir haben nur trainiert, aber du bist verrückt geworden in dir. Das habe ich gespürt.«
» Du hast mir Angst gemacht. Mit Absicht. Penry hat nicht solche Sachen gesagt wie du.«
» Und? Nur Worte, und nur so getan als ob. Das Trauma ist in dir und leicht für mich zu finden.«
Jetzt bin ich wütend. Ich weiß nicht genau, wieso ich Lev überhaupt eingeladen habe. Na ja, eigentlich weiß ich es, seit ich die Pistole habe. Ich denke mir, dass Lev auch dafür ein paar Lektionen parat hat. Für Schießstände hat er vermutlich nur Verachtung übrig. Wenn es hart auf hart kommt, ist man ja selten auf einem Schießstand. Er wird bestimmt darauf bestehen, dass wir mit der Pistole ähnliche Trainingsmethoden anwenden wie für Krav Maga. Wenn ich müde bin, wenn es dunkel ist, wenn sich das Ziel oder das Licht bewegt. Im Laufen. Mit Lärm im Hintergrund. Das ganze » Schultern entspannen, Hände ganz locker« und so weiter ist nur Quatsch, der einem höchstens auf dem Schießstand was nützt.
Natürlich – typisch für den verdammten Lev – tut er nicht das, was ich mir so vorstelle. Jetzt ist er nämlich gerade dabei, eine bescheuerte Theorie über meine Vergangenheit zu entwerfen.
» Lev, ich hatte als Teenager einen Nervenzusammenbruch. Einen richtig großen, richtig schlimmen, richtig
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