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Totenklage

Totenklage

Titel: Totenklage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Bingham
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Das war Todesangst. Ich fühlte mich hilflos.«
    » Aber du warst nicht hilflos. Du hättest ihn ausschalten können. Wie gerade eben.«
    » Ich weiß. Aber da war ich irgendwie anders drauf.«
    » Man ist nie darauf vorbereitet. Man muss umschalten, einfach so.« Er schnippt mit den Fingern. Dann scheint Schostakowitsch etwas komponiert zu haben, das Levs Gefallen findet, denn er hebt einen Finger, um für einen Augenblick um Ruhe zu bitten. Wir lauschen eine Weile den Geigen und Oboen.
    Dann gehen wir in die Küche zurück. Ich will den Joint fertig rauchen und Lev seinen Marmeladentee trinken.
    » Wie war das damals? Die ähnliche Situation, vor einem Jahr oder so? Als du diesen anderen Typen fertiggemacht hast.«
    » Das haben wir doch schon durchgekaut.«
    » Dann kauen wir es noch mal durch. Das waren insgesamt zwei kritische Situationen, ja? Wir müssen verstehen, wie du reagierst.«
    » Okay. In Situation eins habe ich den Kerl zusammengeschlagen. In Situation zwei hat er mich zusammengeschlagen, und ich hatte so große Angst, dass ich nicht wusste, was ich tun sollte.«
    » Also gut. Zurück zu Situation eins. Wir spielen sie noch mal durch.«
    Ich ziehe so fest am Joint, dass er bis zu dem Karton runterbrennt, den ich als Filter verwende, und das letzte bisschen Gras in meiner Lunge verschwunden ist. Manchmal frage ich mich, warum ich Lev so was überhaupt erzähle. Er lässt dann einfach nicht mehr locker. Aber das ist ja genau der Grund, warum ich es ihm erzähle. Ich lasse den Jointstummel in den Teerest in meiner Tasse fallen und rutsche meinen Stuhl so herum, dass er im richtigen Verhältnis zum Tisch steht.
    » Ich bin hier. TDC Griffiths, noch grün hinter den Ohren, schreibt etwas in ihr Notizbuch. Du stehst auf und schlenderst herum. Ich bin völlig ahnungslos. Dann trittst du hinter mich. Nein, nicht auf diese Seite. Auf die andere Seite. Du beugst dich vor und befummelst meine Brust.«
    Lev beugt sich vor und legt die Hand auf meine Brust. Er zögert nicht eine Sekunde. Für ihn ist das weder anstößig noch peinlich. Lev geht es nur um den Realismus.
    » Bereit?«
    Was für eine Frage. Lev ist immer bereit. Er hat auch immer noch die Hand auf meiner Brust.
    » Bereit«, sagt er.
    Ich lege los, mache alles möglichst genau so wie damals. Ich werfe den Stuhl um. Lasse die Hand nach oben gegen seinen Kiefer schnellen. Spüre, wie Lev mit einer Mischung aus Schmerz und Verblüffung zurückprallt. Dabei nimmt er die grapschende Hand von meiner Brust, und ich habe genug Platz, um seine Finger zu packen und sie gegen seine Bewegungsrichtung zu reißen. Tatsächlich habe ich sie dem Typen damals gebrochen. Jetzt stehe ich und kann ihm gegen die Kniescheibe treten. Lev legt großen Wert auf Kniescheiben – zumindest wenn er mit mir trainiert, da ich jeden Kampf verlieren würde, der länger als ein paar Sekunden dauert. Wenn mich jemand zu fassen kriegt, wird es jemand sein, der viel stärker ist als ich. Daher sind die Kniescheibe, und zu einem gewissen Grad auch die Weichteile, meine Hauptziele, wenn es darum geht, den Gegner kampfunfähig zu machen. Aus diesem Grund konzentriert sich ein Großteil von Levs Lektionen auf genau diese wertvollen Körperteile.
    Dieses Mal hält er inne, sobald ich seine Kniescheibe mit einem sauberen Tritt getroffen habe.
    » Jetzt falle ich um, ja?«
    » Genau. Erst zur Seite und dann auf den Boden. So. Ja.«
    » Aber es ging noch weiter, ja?«
    » Der Typ hat sich beim Fallen herumgerollt. Ich hab ihn gegen den Tisch geschubst. Das war eher instinktiv. Aber heftig genug, dass sich die Tischkante in seine Wange gebohrt hat. Es hat ziemlich stark geblutet.«
    » Und dann?«
    » Dann war der Kampf vorbei. Er hatte drei gebrochene Finger und eine ausgerenkte Kniescheibe. Außerdem hat er geflennt wie ein Sechsjähriger, und Blut kam aus einem Loch in seiner Wange.«
    » Okay. Er liegt auf dem Boden. Wie ist er gefallen? So?«
    » Ja, so. Nein, die Beine weiter auseinander. Ja. Genau so.«
    » Und dann?«
    » Lev, mir ist so was zum ersten Mal passiert, okay? Ich konnte nicht klar denken.«
    » Natürlich konntest du nicht klar denken. Es war ja auch ein Kampf.«
    Das ist Levs großes Thema. Der Grund, weshalb er Krav Maga unterrichtet. Der Grund, warum die israelischen Spezialeinheiten diese Technik überhaupt erfunden haben. Nahkampf – richtiger, ernster Nahkampf – findet nicht auf Tatamimatten statt. Man verbeugt sich nicht vorher und spritzt mit Wasser aus

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