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Totenklage

Totenklage

Titel: Totenklage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Bingham
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-Lampen und meinen Marihuanapflanzen. Obwohl es für die armen Dinger gerade viel zu heiß ist, halten sie sich ganz gut. Während meines Studiums habe ich Urlaub in Indien gemacht und mir von dort Samen mitgebracht. Diese Pflanzen sind ihre Töchter und Enkelinnen. Ich gieße sie, sonst lasse ich sie in Frieden. Ich habe schon lange aufgehört, das Harz zu rauchen, sondern trockne nur die Blätter im Ofen, fülle sie in Plastiktüten und sperre die dann in die Scheune. Ich nehme mir eine gut gefüllte Tüte und verschließe den Schuppen wieder.
    In der Küche rolle ich einen Joint. Ich will einen Tee dazu und bitte Lev, Wasser aufzusetzen. Er gehorcht, dann schlendert er ins Wohnzimmer und wühlt in meinen CD s herum. Er schnalzt so lange missbilligend mit der Zunge, bis er was von Schostakowitsch findet. Das Geschenk eines sehr kurzfristigen Liebhabers, wenn ich mich recht erinnere. Schon bald ist die Luft von dunklem russischem Pessimismus erfüllt, gespielt auf einem Fagott und einem Meer von Geigen.
    » Wusstest du, dass Schostakowitsch 1948 nicht in seiner Wohnung, sondern neben dem Liftschacht geschlafen hat?«
    » Nein, Lev. Komischerweise ist mir das bisher entgangen.«
    » Er war in Ungnade gefallen. Zum zweiten Mal in seinem Leben. Das erste Mal in den Dreißigern.«
    » Tja, das erklärt natürlich, warum er neben dem Liftschacht geschlafen hat.«
    » Er denkt, dass er bald verhaftet wird, und will nicht, dass die Polizei seine Familie aufweckt.«
    » Himmelarsch, Lev. Komm hier rüber und werd high.«
    Der Joint ist fertig. Es ist mein zweiter heute, aber in Gesellschaft zu rauchen fällt nicht unter meine Regeln, die mich auf zwei bis drei Joints in der Woche beschränken. Normalerweise rauche ich im Garten. Manchmal werden es auch vier oder fünf, wenn der Druck in meinem Kopf so stark wird, dass ich mal Dampf ablassen muss. Tabak rauche ich nie.
    Ich mache mir einen Pfefferminztee und krame ein paar Pralinen hervor. Um Lev muss ich mich nicht kümmern, weil er sich normalerweise selbst bedient. Und das tut er auch. Er macht sich einen ungesund schwarzen Tee und eine Kanne mit heißem Wasser. Dann holt er ein Glas Bonne-Maman-Himbeermarmelade aus dem Schrank. Seinem finsteren Blick ist zu entnehmen, dass die Marmelade wohl schon angeschimmelt ist. Er wirft ein paar Löffel ins Spülbecken, bevor er zum Tisch zurückkehrt. Ich rauche, trinke Tee und esse Pralinen. Er raucht, verrührt Marmelade, Tee und heißes Wasser in seiner Tasse und trinkt das.
    » Also. Was gibt’s?«
    Ich schüttle den Kopf. Nicht, weil es nichts zu erzählen gäbe, sondern weil ich nicht so recht weiß, in welcher Reihenfolge ich es erzählen soll. Egal. Ich fange einfach irgendwo an.
    » Ich hab eine Pistole.«
    » Hier? Im Haus?«
    Ich hole die Tasche und reiche ihm die Waffe.
    Natürlich zieht Lev damit seine Lev-Show ab. Er lässt den Schlitten zurückgleiten, damit er sehen kann, ob eine Kugel in der Kammer ist. Nein. Er nimmt das Magazin heraus und sieht nach, ob es geladen ist. Ja. Er überprüft die Sicherung. Überprüft das Visier. Überprüft Gewicht und Handlichkeit der Waffe. Dann legt er mit der Waffe ohne Magazin und ohne Kugel in der Kammer an und drückt ab. Erst schießt er ganz statisch, im Sitzen und auf ein imaginäres, unbewegliches Ziel. Dann gerät alles in Bewegung: die Waffe, das imaginäre Ziel, Lev selbst.
    » Gute Waffe. Hast du damit geschossen?«
    » Ja. Auf einem Schießstand. Schultern entspannen, die Hände ganz locker.«
    Ich zeige es ihm.
    » Prima. Liegt sie gut in der Hand? Du hast kleine Hände.«
    » Geht schon. Ist ja auch eine kleine Waffe.«
    » Tak.«
    Tak, wie ich zufällig von meinem Kumpel, dem Papierkönig Tomasz Kowalczyk, weiß, ist Polnisch für » Ja«. Obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass Lev auch kein Pole ist. Aber andererseits habe ich nicht die geringste Ahnung, welcher Nationalität er angehört, und die fremden Worte, die er gelegentlich in sein Englisch streut, stammen aus mindestens einem halben Dutzend verschiedener Sprachen.
    » Schon mal richtig damit geschossen?«
    » Nein.«
    » Hast du mich deshalb gerufen?«
    » Wahrscheinlich. Weiß nicht.«
    » Wirst du bedroht?«
    » Nein. Keine Ahnung. Vielleicht.«
    » Keine besonders logische Antwort für eine Cambridge-Absolventin.«
    » Nein, ich werde nicht bedroht. Nicht direkt. Ein Typ hat mich geschlagen, aber da ging es um was anderes.«
    » Dich geschlagen? Wieso? Was war?«
    Ich erzähle es ihm. Nicht nur

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