Totenklage
Das kann man nie wissen. Vielleicht ja doch. Ich glaube, sie wollte sich zuallererst um ihr Kind kümmern.«
» Zuallererst.«
Jackson betont ausgerechnet dieses Wort. Und er hat recht: Wahrscheinlich bringt es nicht viel, sich zuallererst um ein Kind zu kümmern, wenn man nebenher Heroin spritzt, sich prostituiert und zulässt, dass das Kind erst in ein Heim kommt und dann ermordet wird. Hoppla, April-Schätzchen, das tut mir aber leid.
Ich zucke mit den Schultern, um ihm in diesem Punkt zuzustimmen. » Trotzdem«, füge ich hinzu, » glaube ich nicht, dass sie die übliche Dienstleistung angeboten hat, jedenfalls nicht, was Brendan Rattigan angeht. Charlotte Rattigan hat nicht so reagiert wie eine Frau, die von ihrem Mann einfach nur betrogen wurde. Da war noch mehr.«
» Fahren Sie fort.« Jacksons Stimme klingt immer noch wütend, aber er will wissen, worauf ich hinauswill. Ein kleiner Sieg. Irgendwie.
» Rattigan hatte seine attraktive Modelfrau aus Prestigegründen. Und um den Haushalt zu schmeißen. In dem Punkt hat sie alle Anforderungen erfüllt. Aber ich glaube, dass Rattigan scharf drauf war, Frauen zu misshandeln. Wie genau, weiß ich noch nicht. Vielleicht hat er sie geschlagen. Wenn ich wild drauflosspekulieren müsste, würde ich sagen, dass er diesen Vergnügungen in der Allison Street nachging. In diesem Haus. Dieser Bruchbude.«
» Ich bin kein Freund von wilder Spekulation.«
Inzwischen ist Jackson mit seinen Gedanken ganz woanders. Von seiner Warte aus ist alles klar. Die Sitte hat Mancini als Teilzeitprostituierte mit wechselndem Drogenkonsum registriert. Da hat mein Ausflug nach Penperlleni keine neuen Erkenntnisse gebracht. Vielleicht hat Mancini ihre Dienste Männern angeboten, die auf die härtere Gangart standen, aber üblicherweise bedienen Prostituierte viele verschiedene Geschmäcker, das ist nichts Außergewöhnliches. Jackson will mir gerade den Rat eines erfahrenen Ermittlers geben, dass ich besser vorsichtig sein soll, wenn ich das nächste Mal Multimillionärswitwen verhöre, als das Telefon klingelt. Ich will aufstehen, doch er hebt die Hand und hält mich auf.
Während der ersten Sekunden des Telefonats mache ich mir Sorgen. Es könnte ja eine Beschwerde aus dem Cefn Mawr House sein. Aber als mir klar wird, dass es bei dem Anruf um etwas anderes geht, schwindet meine Aufmerksamkeit zusehends. Es geht auf fünf Uhr zu. Da es sich nicht rentiert, vor meinem Treffen mit Brydon noch nach Hause zu fahren, werde ich die Zeit bis dahin wohl mit Penrys Finanzakten totschlagen müssen.
Jackson legt auf.
» Das war die Gerichtsmedizin. Sie sind so gut wie fertig und wollen uns informieren. Wenn Sie wollen, können Sie mitkommen und sich Notizen machen. Als Belohnung für Ihr kleines Verhör sozusagen.«
Weil wir beide danach nicht mehr ins Büro fahren werden, nimmt jeder seinen eigenen Wagen. Auf der North Road herrscht die übliche gereizte Rush-Hour-Stimmung. Es geht nur mühsam voran. Jacksons hemdsärmeliger Arm hängt aus dem Fenster und schlägt im Takt einer für mich unhörbaren Musik gegen die Wagentür. Schließlich erreichen wir das Krankenhaus und stellen die Wagen auf dem riesigen, 1300 Autos fassenden Parkplatz ab. Ich nehme das POLIZEI IM EINSATZ -Schild aus dem Handschuhfach und stelle es in die Windschutzscheibe. So spare ich mir die Parkgebühren. Jackson ist bereits ausgestiegen und eilt zum Eingang, um sich im windgeschützten Bereich eine Zigarette anzuzünden.
» Wollen Sie eine?«, fragt er, als ich ihn eingeholt habe.
» Nein danke. Ich rauche nicht.«
» Sie trinken auch nicht, stimmt’s?« Jackson versucht, sich zu erinnern, ob er mich schon einmal auf einem der vielen kollegialen Besäufnisse gesehen hat. Ich bin diejenige, die sich üblicherweise an einem Glas Orangensaft festhält und früh nach Hause fährt. Was ihm aber egal ist, weshalb er auch weiterredet, ohne meine Antwort abzuwarten. » Ich rauche eigentlich auch nur hier. Wegen der verdammten Leichen.«
Er nimmt drei, vier Züge, verzieht das Gesicht und drückt die Zigarette mit dem Absatz aus. Dann gehen wir rein.
Krankenhäuser sind nicht mein Fall. Riesige Gebäude, vor die man aus schlechtem Gewissen Bäume gepflanzt hat. Und drinnen ist es nicht besser. Ich weiß nicht, was die Leute machen, die da arbeiten, nur, dass sie es immer furchtbar eilig haben. Durch Vorhänge abgetrennte Betten und die Aura des Todes, die sich wie frisch gefallener Schnee über alles legt.
Aber wir
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