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Totenklage

Totenklage

Titel: Totenklage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Bingham
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wollen ja nicht ins Krankenhaus, sondern in das am schlechtesten ausgeschilderte Gebäude des gesamten Klinikkomplexes. An der Tür zur Leichenhalle wartet bereits Aidan Price auf uns, der Leiter der Gerichtsmedizin. Er ist groß und schlank und hat genau die kleinkarierte Pedanterie, die man in seiner Branche benötigt.
    Die Leichenhalle eines Krankenhauses erfüllt zwei oder drei Funktionen. Erstens dient sie als Lagerraum. In einem Krankenhaus fallen jede Menge Leichen an, und es wird nicht gerne gesehen, wenn sie zu lange auf den Stationen herumliegen. Daher werden die Toten schnell abtransportiert und durch saubere Laken und den Duft von Reinigungsmitteln ersetzt. Und da die Leichen ja irgendwo hingebracht werden müssen, bringt man sie eben in die Leichenhalle. Wie Flugzeuge in der Warteschleife, bevor sie irgendwann zum Bestattungsunternehmer oder ins Krematorium transportiert werden.
    Die zweite Funktion einer Leichenhalle leitet sich aus der ersten ab. Üblicherweise brauchen die trauernden Hinterbliebenen mehr als nur saubere Laken und Reinigungsmittel, damit die Tränen richtig fließen können. Allerdings sind trauernde Angehörige für das Image eines Krankenhauses fast so schlimm wie die Leichen selbst. Daher gibt es in jeder Leichenhalle einen Schauraum, in dem die Hinterbliebenen den Verstorbenen ansehen können. Üblicherweise ist das ein zweckmäßiges, aufgrund von architektonischen Gegebenheiten und Budgetkürzungen nicht besonders großes Zimmer. Hier, in der Universitätsklinik, hängt in diesem Raum ein gerahmtes Foto von Birken im Frühling, und aus dem Fenster kann man auf das Dach der Krankenhausküche sehen.
    Funktion Nummer drei schließlich hat uns hierhergeführt. Die University of Wales betreibt die größte rechtsmedizinische und pathologische Einrichtung des Landes. Hier werden täglich zwei Leichen zerschnippelt. Größtenteils reine Routine – wenn beispielsweise ein Drogensüchtiger stirbt, muss der Rechtsmediziner die Todesursache ermitteln. Die Gesundheitsbehörde will wissen, ob der Tote an HIV oder Hepatitis B oder C erkrankt war, also werden toxikologische Tests durchgeführt, Organe entnommen und gewogen und das Gehirn untersucht. Der zuständige Pathologe schickt seinen Bericht an den Gerichtsmediziner. Der wiederum stellt die Todesursache fest. Ein Bericht wird geschrieben, und ein Leben ist offiziell beendet.
    Wir ziehen uns um. Price wartet vor der Tür des Seziersaals auf uns. Er trägt einen langärmligen weißen Overall mit einer weißen Plastikschürze davor, dazu Gummistiefel, Gesichtsmaske und eine weiße Baumwollhaube. Wir müssen uns ähnlich verkleiden, bevor wir weitergehen dürfen.
    Dann betreten wir den Saal, und Price schließt die Tür hinter uns. Die beiden Autopsietische sind belegt und mit einem hellblauen Laken bedeckt. Die Deckenbeleuchtung ist grell, die Belüftungsanlage brummt. Die Luft hier wird stündlich ausgetauscht, indem sie in den unreinen Bereich gesaugt und dann durch einen HEPA -Filter gejagt wird. So werden die Keime und der Tod herausgefiltert, bevor sie wieder in die Umwelt gelangt.
    Price nimmt das Laken von dem größeren Leichnam. Es ist Janet Mancini.
    Sie ist hübsch. Das konnte man auch auf den Fotos erkennen, aber in Wirklichkeit ist sie noch viel graziler und zerbrechlicher. Ich will die geschwungene Linie ihrer Augenbraue mit dem Finger nachfahren und meine Hand auf das kupferfarbene Haar legen.
    Price kann tote Menschen nicht ausstehen, und tote drogensüchtige Prostituierte mit ihren hochgefährlichen, infektiösen Körpern schon gar nicht. Polizisten kann er auch nicht leiden. Ich ziehe das Notizbuch hervor und räume mir einen Platz vor Janet Mancinis Füßen frei, damit ich ihn beim Mitschreiben ablegen kann. Sie hat kleine Füße mit schlanken Fesseln. Ich arrangiere das Laken so, dass sie am besten zur Geltung kommen. Als ich bemerke, dass Jackson mich anstarrt, höre ich damit auf.
    Price spricht mit pedantischer Präzision.
    » Fangen wir mit den einfachen Sachen an. Urin und Blut wurden auf Drogen getestet. Die Urinprobe war negativ, was Marihuana, Kokain, Opiate, Amphetamine, PCP und eine Reihe anderer Substanzen angeht. Wir haben schwache Spuren von Alkohol und Methamphetamin gefunden, aber da ihre Blase ziemlich voll war, lässt sich schwer sagen, wann und in welcher Menge sie diese Drogen konsumiert hat. Der Test auf Heroin war eindeutig positiv. Das muss sie wohl vor nicht allzu langer Zeit genommen haben.«
    »

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