Totenklage
sobald er damit fertig ist. Er sagt, ich soll in einer Dreiviertelstunde wiederkommen.
Zurück an den Schreibtisch. Zusätzlich zum Penry-Fall habe ich zwei weitere Aufgaben zugewiesen bekommen. Zum einen muss ich alle Anrufe beantworten, die als Reaktion auf unseren Aufruf bezüglich Operation Lohan eingehen. Zum anderen soll ich Janets Sozialamtsakte nach brauchbaren Informationen durchforsten und Jackson eine gewichtig betitelte Zusammenfassung liefern. Ich nehme drei Anrufe entgegen – einen verrückten und zwei normale, aber nutzlose –, danach vergrabe ich mich in den Akten. Mit dem Papierkram bin ich ziemlich gut. Liegt wohl am Studium in Cambridge: Dort lernt man, bergeweise Material schnell und effizient nach den wichtigen Stellen zu durchkämmen. Trotzdem wäre ich lieber aktiv an den Ermittlungen beteiligt, weshalb ich mich richtig reinknie, um Arschkriecher-Punkte zu sammeln.
Als das Telefon klingelt, stecke ich mitten in der Arbeit. Jackson ruft mich von seinem Dienstapparat aus an und bestellt mich ohne Angabe von Gründen in sein Büro.
Ich betrete sein Büro, bleibe aber in der Nähe der Tür stehen. Jackson führt seine Gespräche sowohl bei geöffneter als auch hinter geschlossener Tür. Erstere sind in der Regel angenehmer. Von Letzteren hatte ich schon mehr als genug. Ich warte darauf, dass er mir zu verstehen gibt, um welche Art von Gespräch es sich handelt. So wie er mich ansieht, ist es wohl eine Unterhaltung hinter verschlossener Tür, weshalb ich sie auch schließe.
» Sie wollten mich sprechen, Sir?«
» Gute Arbeit in der Rechtsmedizin. Schnell und präzise. Ein ordentlicher Bericht.«
» Danke.«
» Dasselbe darf ich auch von der Sozialamtsakte erwarten, oder?«
» Das habe ich vor.«
Ich setze mich. Jacksons Freundlichkeit ist ein schlechtes Zeichen. Ich frage mich, was ich falsch gemacht habe.
» Ein so plötzlicher Ausbruch von Hyperaktivität bei Fiona Griffiths bedeutet normalerweise, dass Sie etwas von mir wollen. Darf ich fragen, worum es sich dabei handelt?«
Das überrascht mich. Ich hätte nicht gedacht, dass das so offensichtlich ist.
» Sir, wenn es irgendwie möglich ist, würde ich gern Vollzeit an Operation Lohan arbeiten. Ich bin davon überzeugt, dass ich einen wertvollen Beitrag leisten könnte.«
» Natürlich könnten Sie das. Jeder in meiner Abteilung könnte einen wertvollen Beitrag leisten.«
» Ja, aber momentan sind nur zwei Frauen im Team: DC Rowland und DS Alexander. Zweifellos brillante Ermittlerinnen, aber ich nehme an, dass sie schon alle Hände voll zu tun haben. Also, selbstverständlich können auch Männer die Personenbefragungen durchführen, aber das ist nicht dasselbe, oder? Na ja, jedenfalls nicht, wenn es um Prostituierte geht.«
Das war jetzt nicht gerade die schlüssigste Erklärung, aber Jackson weiß, worauf ich hinauswill. Natürlich können auch Männer Prostituierte befragen, aber da gibt es immer eine gewisse Hemmschwelle zu überwinden. Und da bei diesen Vernehmungen stets Frauenmangel herrscht, werden regelmäßig Streifenpolizistinnen hinzugezogen. Was ja auch in Ordnung ist – nur, dass eine Polizistin in Uniform, komplett mit Schlagstock, Handschellen, Funkgerät, Schutzweste und Stiefeln die Mädels eher abtörnt. Jackson ist ein griesgrämiger Veteran, was bedeutet, dass er sich noch an die alten Zeiten erinnert, als die Prostituierten busweise ins Revier gekarrt wurden, um in Verhörräumen von einem Haufen machohafter Polizisten angeschrien zu werden, deren Verachtung, Begierde und Ekel aus jeder Männerpore strömte. Zumindest ist er schlau genug zuzugeben, dass diese antiquierten Ermittlungstechniken nicht immer von Erfolg gekrönt waren und dass subtilere Vorgehensweisen ebenfalls Vorteile haben könnten. Beispielsweise den Vorteil, tatsächlich Ergebnisse zu liefern.
» Nein«, sagt er, » das ist nicht dasselbe.«
Soll das jetzt heißen, dass ich mit im Team bin oder nicht? Ich bleibe sitzen und versuche, mir einen Reim darauf zu machen.
» Woran arbeiten Sie gerade? Sie bereiten den Penry-Prozess vor, stimmt’s?«
Ich sage ihm, dass ich das bis zum Ende der Woche erledigt haben will, was selbst für meine Ohren unwahrscheinlich früh klingt.
» Sind da unsere lieben Kollegen vom CPS der gleichen Ansicht? Gethin Matthews zum Beispiel?«
CPS : Der Crown Prosecution Service, eine nur dem Parlament verantwortliche Strafverfolgungsbehörde. Nein, weder diese Behörde im Allgemeinen noch Gethin Matthews im
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