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Totenklage

Totenklage

Titel: Totenklage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Bingham
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Vergebens. Was mich vorhin beunruhigt hat, beunruhigt mich immer noch, aber ich werde dieses Problem nicht lösen, indem ich einfach nur abwarte.
    Außerdem will ich nicht, dass mich Jackson oder Price für wunderlich halten, daher » finde« ich meinen Stift, breite die Laken über die beiden und raschle wieder aus dem Saal, wobei ich den Stift mit einem bescheuert triumphierenden Blick in die Höhe halte. Die Männer beachten mich nicht weiter, sondern gehen in die Umkleidekabine.
    Ich ziehe mich ganz langsam um. Die Gummistiefel stecke ich in ein Fach, den übergroßen Overall in ein anderes. Die Tür zur Besenkammer befindet sich direkt neben dem Eingang zur Frauenumkleide. Raffiniert. So kriegen die Männer beim Anblick von Mopps und Putzeimern keinen Schreck. Ich öffne die Tür und spähe hinein. Es ist eine große, geräumige Kammer voll mit Reinigungsmitteln. Eigentlich weiß ich gar nicht, was ich hier will, daher gehe ich zurück in die Vorhalle.
    Die Männer reden immer noch miteinander. Ich wüsste nicht, weshalb ich auf sie warten sollte. » Vielen Dank, Dr. Price. Bis morgen, Sir«, rufe ich, will die Ausgangstür öffnen und merke, dass sie sich nicht öffnen lässt. Ich ziehe daran und drücke – vielleicht ist sie ja etwas schwergängig –, als Price hinzukommt, um mir zu helfen.
    » Man muss den Öffner betätigen«, sagt er. » Hier ist ein Sicherheitsbereich.«
    » Ach so.«
    Heutzutage ist so ziemlich alles ein Sicherheitsbereich. Warum eigentlich? Haben sie Angst, dass ihnen die Toten davonlaufen? Wir verabschieden uns – er ganz automatisch, ich etwas steif –, und er lässt mich raus.
    Aufgrund meiner leichten Verwirrung verlaufe ich mich und finde mich auf der Suche nach dem Ausgang in einem der endlosen Krankenhausflure wieder. Die hellgelben Vinylfliesen lassen meine Schuhe quietschen und reflektieren das Neonlicht viel zu stark. In meinem Kopf geistern Krankenhauswörter herum. Pädiatrie. Orthopädie. Radiotherapie. Phlebotomie. Weder das Licht noch diese Begriffe bekommen mir besonders gut, sodass ich irgendwann ziellos durch die Gänge irre. Ich fahre mit den Aufzügen rauf und runter und steige ein und aus, je nachdem, wo die anderen Leute gerade hinwollen.
    Hämatologie. Bilddiagnostik. Gastroenterologie.
    Irgendwann hält mich eine Schwester an und fragt, ob mir etwas fehlt. » Nein, vielen Dank«, sage ich, allerdings eine Spur zu laut. Schnell gehe ich mit quietschenden Sohlen weiter, um ihr zu demonstrieren, dass mir auch wirklich nichts fehlt.
    Irgendwann gelange ich zu der Erkenntnis, dass das Krankenhaus selbst der Grund ist, warum ich mich so seltsam fühle. Ich muss hier raus. Als ich an eine Abzweigung gelange, bemerke ich, dass ich direkt vor einem großen Metallschild stehe, auf dem mit schwarzen Buchstaben AUSGANG → steht. Ein nicht zu unterschätzender Hinweis, dem ich bis zum Haupteingang folge, wo mich frische Luft und eine steife Brise empfangen. Je nachdem, aus welcher Richtung der Wind weht, riecht die Luft in Cardiff entweder nach Gras oder nach Salz, heißt es. Eigentlich riecht sie meistens nach Auspuffabgasen wie überall sonst auch.
    Ich bleibe eine Zeit lang vor dem Ausgang stehen. Die Leute drängen sich an mir vorbei. Langsam werde ich wieder klar im Kopf.
    Ich versuche mich daran zu erinnern, wo ich das Auto geparkt habe, als mein Handy zirpend den Eingang einer SMS verkündet. Brydon, der mich an unsere Verabredung erinnert. Die Verabredung, die ich völlig vergessen habe. Ich muss los. Ich bin jetzt schon zu spät.
    Auf dem Weg zum Auto winke ich der Leichenhalle zu.
    » Gute Nacht, April. Gute Nacht, Janet.«
    Sie antworten nicht, aber ich könnte wetten, dass April immer noch lächelt.

6
    Pünktlich heißt pünktlich, und heute ist niemand pünktlicher, aufgeweckter und besser gelaunt als ich.
    Jackson hat noch nicht lange geredet, da ist es schon Zeit für meinen großen Moment.
    Er fasst die Ergebnisse des Besuchs in der Rechtsmedizin zusammen. » Fiona Griffiths wird ihre Notizen so schnell wie möglich in Groove einstellen«, fügt er hinzu. » Nicht wahr, Fiona?«
    » Schon erledigt, Sir«, sage ich.
    » Schon erledigt?«
    Er glaubt mir nicht.
    » Jawohl. Ich wollte keine Zeit verlieren.«
    Er hebt seine außergewöhnlich buschigen Augenbrauen, die so etwas wie sein Markenzeichen darstellen. Entweder ist er schwer beeindruckt oder (was wahrscheinlicher ist) er bezweifelt, dass mein Bericht in einigermaßen ordentlichem Zustand ist. Ist er

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