Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totenklage

Totenklage

Titel: Totenklage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Bingham
Vom Netzwerk:
einem anderen die Kniescheibe verrenkt, sollte man erst mal ein ernstes Wort mit ihm reden. Dieser Kurs hatte achtzehn Teilnehmer, von denen nur drei weiblich waren. Und von diesen dreien war ich die Einzige, die nicht wie eine Lesbe aussah. Immerhin scheint das Ganze etwas gebracht zu haben: Seitdem habe ich niemanden mehr krankenhausreif geprügelt.
    » Für Entschuldigungen ist es ein bisschen zu spät, finden Sie nicht auch?«
    » Ja, Sir.«
    Es entsteht eine lange Pause. In der Regel kann ich mit langen Pausen gut leben. Ich habe mit Pausen gar kein Problem, aber diese Pause macht mich wahnsinnig, weil ich nicht weiß, aus welchem Grund Jackson sie einlegt.
    » Wenn Sie gestatten«, sage ich, » dann möchte ich auf die Bedeutung der Berichte hinweisen, die wir über April Mancinis Aufenthalt in der Allison Street haben.«
    » Aber es gibt überhaupt keine Berichte darüber. Keinen Fliegenschiss.«
    » Genau. Vor dem Fenster zur Straße steht eine Fensterbank. Die Spurensicherung hat mir gesagt, dass dahinter stapelweise Zeichnungen von April gefunden wurden. Sie muss dort stundenlang gesessen und gemalt haben. Stundenlang. Vor dem Fenster zur Straße.«
    » Ja, aber vergessen Sie die Vorhänge nicht. Die waren offenbar ständig geschlossen.«
    » Darauf wollte ich hinaus. Welches Kind würde denn nicht die Vorhänge zurückziehen, wenn Mam das Haus verlässt? Von dort aus hat man einen tollen Ausblick. Für Butetown jedenfalls. Man kriegt alles mit, was auf der Straße so los ist. Selbst Kinder, die das Haus verlassen dürfen, würden sich vor dieses Fenster setzen und rausschauen. Aber April nicht. Ich glaube, sie hatte Angst. Und zwar deshalb, weil ihre Mutter auch Angst hatte. Die Angst hat sie in dieses Haus getrieben, und derjenige, vor dem sie Angst hatten, hat sie dort aufgespürt und ermordet. Dafür habe ich keine Beweise, aber es erscheint mir eine durchaus brauchbare Theorie.«
    Jackson nickt. » Ja. Ja, das klingt plausibel.«
    Und schon folgt die nächste Pause, aber ich finde, diesmal ist Jackson an der Reihe, sie zu beenden. Ich sitze einfach nur schweigend und mit einem verlegenen Lächeln um die Lippen da und versuche, wie eine gute, professionelle Ermittlerin auszusehen.
    » Fiona, ich werde Sie Lohan nicht zuteilen. Nicht Vollzeit. Nicht, solange ich hier das Sagen habe. Meinetwegen können Sie zu dieser Ermittlung unterstützend beitragen, aber nur, wenn ich keine weiteren Anrufe wie den von heute Morgen erhalte …«
    » Nein, Sir …«
    » Und nur, wenn Sie niemanden krankenhausreif schlagen, DCI Matthews in Ruhe lassen, auch die Aufgaben erledigen, die Ihnen keinen Spaß machen, nett zu Ihren Kollegen sind und sich überhaupt wie eine professionelle, kompetente Ermittlerin verhalten.«
    » Ja, Sir.«
    » Sobald Sie Scheiße bauen, sind Sie diesen Fall los. Sie sind so weit davon entfernt, eine brillante Ermittlerin zu sein.« Er hält Daumen und Zeigefinger der rechten Hand ein paar Zentimeter auseinander. » Und so weit davon, mir gewaltig auf den Sack zu gehen.« Er hält die linke Hand hoch. Der Zeigefinger berührt den Daumen und macht keine Anstalten, sich davon zu entfernen.
    » Ja, Sir.«
    Er legt erneut eine Pause ein, aber jetzt habe ich diese gewichtigen Pausen satt und warte nur noch darauf, dass die Unterredung endlich zu Ende ist.
    » Was April angeht, könnten Sie recht haben. Das könnte tatsächlich der Grund sein, warum sie niemand gesehen hat. Armes kleines Ding.«
    Ja, armes kleines Ding.
    Die kleine April, die in einem stinkenden Zimmer Bilder mit Blumen malt. Die kleine April, die nie, nie, nie die Vorhänge aufmachen darf. Die kleine April, die Farideh kein einziges Mal gesehen hat. Die kleine April, die für alle unsichtbar war – außer für ihren Mörder.
    Jackson nickt mir zu. Ich kann gehen. Also gehe ich nach unten zu Tomasz und hole meine Fotos ab.

7
    Auf dem Weg zu meinem Schreibtisch läuft mir Brydon über den Weg. Unsere Verabredung gestern Abend hat mich verwirrt. Als ich seine SMS erhielt, war ich der Meinung, es ginge um ein Feierabendbierchen unter Kollegen. Was man so ungefähr einmal die Woche macht: mit ein paar Kollegen in einer der Kneipen von Adamstown zu versacken, in die zu späterer Stunde andere Kollegen gerufen werden. Zu so etwas werde ich nicht immer, aber zumindest ab und zu eingeladen. Dann trinke ich einen Orangensaft. Mir ist viel zu spät aufgefallen, dass Brydon ein Date im Sinn hatte. Jetzt nicht so eine

Weitere Kostenlose Bücher