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Totenklage

Totenklage

Titel: Totenklage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Bingham
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Blumen-und-Kerzenlicht-Kiste, sondern ein erstes Vorfühlen, eine unverfängliche, leicht abzulehnende Einladung, die sich entweder in eine Blumen-und-Kerzenlicht-Kiste oder einen harmlosen Drink unter Kollegen entwickeln kann. Ich habe echt Probleme damit, solche Zeichen zu dekodieren. Ich weiß ja noch nicht mal, dass es sich überhaupt um einen Code handelt – bis es zu spät ist.
    Wie gestern Abend zum Beispiel. Da ich dem Ganzen keine große Bedeutung beigemessen hatte, bin ich zu spät gekommen, ohne Brydon vorher Bescheid zu geben. Das Ergebnis: Brydon hatte sich bereits zu ein paar anderen Kollegen gesellt, und wir verbrachten einen etwas ermüdenden, aber herzlichen Feierabend. Das war, im Nachhinein betrachtet, wohl nicht unbedingt das, was er vorhatte – und nun habe ich ihm wohl signalisiert, dass ich an Blumen und Kerzenlicht nicht interessiert bin. Obwohl ich eigentlich überhaupt nichts signalisieren wollte, und wenn doch, dann sicher ein ganz anderes Signal.
    » Hey, Fi«, sagt er.
    » Hey.« Ich verziehe das Gesicht. Eigentlich wollte ich lächeln, aber meine Gedanken sind noch immer bei Jacksons Tirade und den Fotos der toten Menschen, die ich mit mir herumtrage.
    » Alles klar?«
    » Ja. Und bei dir? Tut mir leid wegen gestern.«
    » Schon okay.«
    » Ich war im Stress. Tut mir leid. Ich wollte nicht …«
    » Schon okay. Kein Problem.«
    » Vielleicht sollten wir das irgendwann wiederholen. Auf einen Drink gehen. Ich werde auch pünktlich sein. Versprochen.«
    Er grinst. » Gut. Ja. Bald mal.«
    » Okay. Prima. Danke.«
    Ich will nicht, dass Brydon die Fotos sieht, daher lege ich sie mit der unbedruckten Seite nach oben auf meinen Schreibtisch und beuge mich darüber.
    » Wirklich alles in Ordnung? Du siehst nicht so entspannt und unbeschwert aus wie sonst.«
    » Jackson hat mich gerade zur Sau gemacht. Auf einer Skala von eins bis zehn ungefähr, na ja, eine Sieben. Nein, eine Sechs.« Das schätze ich jetzt mal so ein, wenn ich davon ausgehe, dass der Anschiss nach der Kniescheiben-Sache eine glatte Zehn war.
    » Oha, wen hast du denn diesmal ins Krankenhaus gebracht?«
    » Sehr witzig. Hör mal, könntest du mir einen Gefallen tun?« Ich schiebe ihm ein paar Papiere aus der Penry-Akte rüber. » Könntest du das mal zusammenrechnen und mir sagen, was du rausbekommst? Ich hol dir auch einen Tee.«
    Er macht sich mit Bleistift und Taschenrechner an die Arbeit. Ich stopfe die Fotos in eine Schublade und hole den Tee. Als ich zurückkomme, hat Brydon die Zahlen addiert und kommt zum selben Ergebnis wie ich. Es sind etwa 40 000 Pfund mehr, als es sein sollten.
    » Stimmt was nicht?«, fragt er.
    » Nein. Doch. Das ist irgendwie zu viel des Guten.«
    » Wenn du damit nicht weiterkommst, ruf doch die Rechnungsstelle an. Ist ja nicht deine Aufgabe, das alles zusammenzurechnen.«
    Ich nicke. Gerade bin ich zu sehr mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt, um ihm zu sagen, dass ich die Rechnungsstelle schon informiert und für morgen früh bereits einen Termin vereinbart habe. Die Rechnungsstelle ist nicht mein Problem.
    » Wer zum Teufel unterschlägt Geld von seinem Arbeitgeber, um sich ein Sechstel von einem Rennpferd zu kaufen?«
    Brydon beantwortet möglicherweise meine Frage, aber wenn dem so ist, dann höre ich ihn nicht, weil ich bereits zum Telefon greife.

8
    Den ganzen Vormittag über arbeite ich wie ein Tier. Um halb zwölf kommt Bev Rowland auf dem Weg zum Mittagessen bei mir vorbei und fragt, ob ich mitkomme. Ich würde ja gerne, aber wenn ich mich bei Jackson einigermaßen beliebt machen will, muss ich noch einen gewaltigen Berg Arbeit bezwingen. Ich sage ihr, dass ich mir nur schnell ein Sandwich am Schreibtisch reinschieben werde. Was ich auch tue. Fetakäse und gegrilltes Gemüse. Dazu eine Flasche Wasser. Ich verzehre alles vor dem Hintergrund der geschäftigen Betriebsamkeit des Büros. Mir fällt nicht mal eine gegrillte Auberginenscheibe in die Tastatur. Eine tadellos ausgeführte Schreibtischmahlzeit.
    Währenddessen lerne ich eine Menge über Dinge, die mir völlig unbekannt waren. Wie Wettverbände funktionieren. Wo das Geld hinfließt. Dinge, die ich niemals wissen wollte. Beunruhigende Dinge. Dinge, um die ich mich niemals kümmern würde, wenn mir Jackson nicht kräftig in den Hintern getreten hätte. Kurz vor Feierabend bin ich immer noch nicht zu Mancinis verdammter Sozialamtsakte gekommen, und auf meinem Schreibtisch stapeln sich Handelsregisterauszüge und Kopien der

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