Totenklage
zugrunde liegen, geschieht das meistens bei kleineren Flugzeugen, deren Besitzer nicht über die sicherheitstechnischen Möglichkeiten und Standards verfügen, die beispielsweise bei der BA oder vergleichbaren Fluglinien vorgeschrieben sind. Daher passieren die meisten Unfälle nach wie vor im Bereich der allgemeinen Luftfahrt.«
» Wenn wir vom offiziellen Bericht absehen, würde Ihr Bauchgefühl also sagen, dass hier irgendjemand Mist gebaut hat. Wenn das Flugzeug nicht irgendwo in der Cardiff Bay liegen würde, hätten Sie die Möglichkeit, das Wrack zu untersuchen und den Schuldigen zu identifizieren. So jedoch können Sie nur mit den Schultern zucken und die Sache zu den Akten legen.«
» Wenn wir ganz weit vom offiziellen Bericht absehen, dann ja.«
» Dürfte ich Ihnen eine letzte Frage stellen? Ganz im Vertrauen, nur mal wild drauflosspekuliert?«
» Schießen Sie los.«
» Okay. Messen Sie der Tatsache, dass Rattigans Leiche niemals gefunden wurde, irgendeine Bedeutung bei?«
Ich höre, wie er am anderen Ende der Leitung laut Luft holt. Diese unerwartete Wendung in unserem Gespräch hat ihn wohl aus der Fassung gebracht. » Bedeutung in welchem Sinne?«, fragt er vorsichtig.
» Gehen wir mal von der Theorie aus, dass Rattigan den Flugzeugunfall irgendwie inszeniert hat. Dass er überlebt hat und nur sein Pilot gestorben ist. Oder dass der Unfall echt war und Rattigan diese Gelegenheit genutzt hat, um aus irgendwelchen Gründen von der Bildfläche zu verschwinden. Ließen sich bestimmte Aspekte, die die Umstände des Absturzes betreffen, im Licht einer solchen Theorie besser erklären?«
Keighley schweigt lange zehn Sekunden. » Tut mir leid, da muss ich erst drüber nachdenken«, sagt er dann und fügt dem weitere fünfzehn Sekunden nichts hinzu.
» Okay, also, ich würde meinen: Nein. Da fällt mir nichts ein, außer … nun ja, außer dass Rattigans Leiche nicht gefunden wurde. Der Pilot trug eine Schwimmweste, deshalb konnte sein Leichnam schnell geborgen und identifiziert werden. Hätte Rattigan ebenfalls eine Schwimmweste getragen, wäre er auf jeden Fall gefunden worden. Doch von ihm fehlte jede Spur. Das ist außergewöhnlich und steht im Gegensatz zu unseren bisherigen Erfahrungen. Aber selbst dafür gibt es eine Million unverfänglicher Erklärungen, die immer noch wahrscheinlicher sind als Ihre Theorie. Wenn er beispielsweise in Panik geriet und es nicht schaffte, seinen Sicherheitsgurt zu lösen, hätte ihn das Wrack mit sich in die Tiefe gerissen. Oder wenn er sich gegen den Rat des Piloten geweigert hat, die Schwimmweste anzuziehen. Da sind schon seltsamere Sachen passiert.«
Wir reden noch ein bisschen. Keighley bleibt hilfsbereit, aber ich kann nicht viel mehr aus ihm herausholen. Jetzt bin ich weiter als zuvor. Weiter im Niemandsland.
Ich lege auf.
Das Kribbeln, das mich heute Morgen geweckt hat, ist immer noch da. Nun überlege ich zum ersten Mal ernsthaft, ob es nicht Angst sein könnte. Ich überlege, ob der Begriff zu diesem Gefühl passt. Ich habe Angst. Ich habe Angst. Keine Ahnung. Ich spüre jedenfalls nicht dieses innere Klicken, das immer dann auftritt, wenn ein Wort wirklich mit einem Gefühl übereinstimmt. Ich weiß es nicht. Ich brauche weitere Anhaltspunkte.
Ich fahre langsam zum Büro zurück und mache unterdessen meine Atemübungen.
14
Für vier Uhr nachmittags ist eine Besprechung mit unbedingter Anwesenheitspflicht angesetzt. Das Labor hat die Resultate der DNA -Analyse geschickt, und man munkelt, dass sich einige der Spuren bestimmten Personen zuordnen lassen.
Das sorgt nicht gerade für Aufruhr, aber doch für eine gewisse Unruhe, für Anspannung, für diejenige Art von nervöser Energie, die Ermittler befällt, wenn ihnen konkrete Ergebnisse in Aussicht gestellt werden. Endlich können wir die Anwesenheit eindeutig identifizierter Personen in diesem Haus des Todes nachweisen. Denn das Berichteschreiben, Zeugenbefragen, Von-Tür-zu-Tür-Latschen und Telefonieren hat, um ehrlich zu sein, noch nicht einen konkreten, unanfechtbaren Hinweis zutage gefördert.
Um zehn vor vier ist der Besprechungsraum bereits gut gefüllt. Ich habe mich mit Pfefferminztee und einem von diesen Vollkornenergieriegeln bewaffnet. Jim Davis wird von der Kaffeemaschine angezogen wie ein Ferkel von der Zitze der Muttersau.
» Hey, Jim«, sage ich vorsichtig. Davis ist nicht gerade mein größter Fan. Andererseits besteht der Fiona-Griffiths-Fanclub innerhalb des CID nur aus wenigen
Weitere Kostenlose Bücher