Totenklang
gleichzeitig darum bitten, die Anrufe zu notieren. Davon wird er zwar nicht begeistert sein, zumindest wird er erst einmal stöhnen, aber am Ende wird er alles aufschreiben. Auf Rudi ist Verlass. Hinter seiner kauzigen Art verbirgt sich eben doch ein Gutmensch. Der, so sagt er selbst, solle so unentdeckt wie möglich bleiben. Tue Gutes und rede nicht drüber, so seine Maxime. Wenn es darum geht, einem Freund einen Gefallen zu tun, kann man immer mit Rudis Hilfe rechnen, solange es sich dabei nicht um Geld handelt. Rudi verleiht keinen Cent und ich würde ihn auch niemals um Geld bitten. Alles, was er mir materiell zukommen lässt, bekommt er durch meine Arbeitsleistung abgegolten. Darüber hinaus zahlt er mir einen Stundenlohn. Bisher deckten sich seine Einschätzungen vom Wert seiner Unterstützung an meine Adresse mit meiner Arbeitsleistung an seine Adresse. Keiner von uns fühlt sich ungerecht entlohnt. Das kann ich zumindest für mich behaupten und wenn Rudi das anders sähe, würde er es mir nicht sagen. Er würde gar nicht mehr mit mir reden und so wüsste ich Bescheid. Wenn Rudi sich ausgenutzt fühlt, kann man von ihm nicht mal mehr ein Wort, nicht eine Silbe bekommen, auch keinen geringschätzigen Blick oder eine wegwerfende Geste. Nicht mal ein Unmutsknurren. Man bekommt rein gar nichts mehr von ihm. In seiner schweigsamen, kargen Kommunikation ist er ausgesprochen klar. Klarer als die Tonleiter, die ich während der Fahrt der Mundharmonika entlocke. Ich übe mich in der Technik des Lippings. Unterlippe leicht zurück, Oberlippe etwas vor, alles irgendwie zuspitzen.
Deutlich und klar ist jedenfalls die Botschaft, die auf dem vor mir fahrenden Polizeiwagen aufleuchtet: Bitte folgen. Die Gesetzeshüter steuern eine Busbucht an und ich folge. Handy am Ohr ohne Headset ist untersagt, von einem Harp-im-Mund-Verbot ist mir nichts bekannt.
Dorf-Sheriff Mario stemmt seinen massigen Körper aus dem Fahrersitz des Polizeiautos. Ich meine, die Stoßdämpfer aufatmen zu hören. Jetzt dreht er sich machtvoll zu mir herum. Zieht sich ausgiebig die Hose hoch, die eine Menge Gewichtiges zu tragen hat, und kommt wiegenden Schrittes auf meinen Wagen zu. Seine Körpersprache lässt mich an das Ritual der Sumo-Ringer kurz vor der Konfrontation denken. Ein dümmliches Grinsen umspielt ganz kurz Marios Mundwinkel, als er sieht, wen er da aus dem Verkehrsstrom gefischt hat. Der Kürze halber gab es einen zweiten Spitznamen für Willst-n-paar-. Aufgrund einer angeborenen Zungensteifheit seines jüngsten Bruders, der den eigenen Nachnamen nur undeutlich artikulieren konnte, heißt die ganze Nümer-Mischpoke die Mümmels. Die einzelnen Sprösslinge wurden durchnummeriert. Mümmel eins, der Älteste, dessen Gürtelschnalle beinahe an meine Scheibe tickt, wippt Ungeduld demonstrierend vor meiner Fahrertür.
Ich lasse die Scheibe nicht herunter, weil ich sie sonst nicht mehr heraufbekomme, da sich das Dichtungsgummi mit hochschiebt, um als geballtes Knäuel den Schlitz zu blockieren. Ich öffne also die Tür, die Ordnungsmacht tritt behäbig einen Schritt zur Seite, und füge mich dem Unausweichlichen, das sich gleich neben mir breit macht wie entfleuchte Darmwinde nach einem Döner, doppelt Zwiebeln, extra scharf.
Für mich ist die:
»Allgemeine Führerschein- und Fahrzeugkontrolle, Ihre Papiere bitte!«, nichts Neues. Mein altes, graues Peugeot-Cabrio wird gerne überprüft. Noch lässt Mario nicht durchscheinen, dass er mich erkannt hat als den, der ihm mit einem Tafellappen die Zähne putzte. Aber ich bin sicher, dass er just im Moment meines Kramens im Handschuhfach den Katalog an Drangsalierungen durchgeht. Vom Prüfen des Zulassungs-Siegels über das Nachmessen des Reifenprofils bis hin zum Öffnen des Kofferraumes und dem Herumstöbern im Erste-Hilfe-Kasten. Gummihandschuhe habe ich, die Pflaster kleben sicher alle nicht mehr. Ist die reflektierende Weste schon Vorschrift? Als ich aufblicke, um ihm die Papiere zu geben, hat er das Reifenmessteil schon in der Hand. Er nimmt die Dokumente, faltet meine graue Pappe auf und setzt an:
»Na, wen haben wir denn da?« Wenn der mich jetzt Heini nennt …
»Herr Himmel, bitte steigen Sie aus und öffnen den Kofferraum!« Gut, dass ich weiß, was jetzt seinerseits abgespult wird. Da spule ich mit. Kein Problem, das ist geübt. Hier sitzt jeder Handgriff. Ohne Rückfragen nach dem Sinn der Aktion schlüpfe ich aus dem Wagen, rank und schlank an seinem Bauch und durch seine
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