Totenklang
meinen Händen angefasst.
»Susanne, hat Rudi von einem oder einer Toten gesprochen?«
»Hab nicht so genau hingehört«, antwortet sie schnaufend, wobei sie fortfährt, einen vollen Müllsack hinter sich her zu schleifen.
Möglicherweise haben sich irgendwo mikroskopisch kleine Schnipsel aus meinen DNA-Strängen mit denen der Frau verbunden, die jetzt mit verschobenem Röckchen tot am Parkplatzrand liegt, vielleicht sogar ganz in der Nähe des Ortes, wo ich des Nachts meine Notdurft verrichtet habe. Vielleicht hat sich auch eines meiner grauen Haare, das zuvor unschuldig am Bug des Bauwagens flatterte, in ihrem String verfangen, während sie ihn hochzog, und ich wandere aufgrund fadenscheiniger Indizienbeweise als Frauenmörder für lange Zeit in den Knast. Brauchst du einen Advokaten, kommt gespielt langweilig die Frage aus einem hinteren Winkel meines Hirns.
»Hast du die Seife gesehen, die auf die Kundentoilette soll?«, dringt Susannes Stimme an mein Ohr.
Seife. Horrorszenarien spielen sich in meinem Kopf ab, wenn ich die Worte Knast und Seife verbinde. Man kennt doch die Filmausschnitte amerikanischer Produktionen vom Duschen im Männertrakt auf Alcatraz.
»Heiner?«, zupft sie mich am Ärmel und ich fahre erschrocken zusammen.
Dorthin, zum Leichenfund im Wald, wird sich der unfähige Mario eben so schnell gewendet haben. Wir werden uns gegenüberstehen, er erhöht positioniert, ich erniedrigt sitzend auf der schmalen, polsterlosen Bank eines Gerichtssaals. Ich sehe schon, wie er sich schadenfroh verstohlen die Hände reibt, sein gallertmassenartiges Doppelkinn vor Freude vibriert und er in der Verhandlung im Zeugenstand aussagt, wie nervös sich der Angeklagte am fraglichen Tag bei einer Routinekontrolle verhalten habe. Kein Wort wird wahr sein, doch wem wird man glauben?
»Alles in Ordnung?«, will Susanne wissen.
»Ich hab ihn!«, ruft Rudi und wedelt mit dem Zettel. Ich zucke abermals zusammen. Mein Magen knurrt. Ich sollte etwas essen. Nerven brauchen Fett und Zucker, rede ich mir beruhigend zu. Als hätte Susanne meinen letzten Gedanken gelesen, drückt sie mir eine Packung Müsliriegel in die Hand.
»Hier, setz dich. Wann hast du das letzte Mal was Anständiges gegessen?«, fragt sie fürsorglich.
»Du bist weiß wie die Wand. Nein, eher gelb-grün wie, na, lassen wir das.«
»Danke, geht schon wieder«, entgegne ich riegelkauend, Schoko und Kokos, meine Lieblingssorte.
Der letzte Bissen ist kaum geschluckt, als die nächste Eingabe aus Richtung Küche erfolgt:
»Heiner, du musst mal kurz hierbleiben. Bin gleich zurück und dann holen wir den Bauwagen«, sagt er und verschwindet ohne weitere Erklärung. Jetzt konnte ich ihn nicht mal mehr fragen, was genau er dem Polizeifunk entnommen hat, und meine Fantasie malt weitere Bilder einer verstümmelten, geschändeten Frauenleiche, deren weiße Schenkel grotesk verdreht von ihr abstehen. Ihre Augenränder werden verschmiert sein, ihr Blick mit Entsetzen in den Himmel starren. Himmel, Heiner, wo bist du denn da jetzt wieder reingeraten … Ich entscheide mich für die alte Problembewältigungsstrategie: Bloß nicht länger darüber nachdenken.
Solange die Fakten fehlen.
Susanne wendet sich achselzuckend ab. Rudi wird wohl seinen Willen bekommen, doch noch weiß man es nicht. Ich wage es nicht, einen Tipp abzugeben. Frauen haben bisweilen eine sehr subtile Art, Männer an der Erfüllung ihrer Wünsche zu hindern. Werden jene später gefragt, warum sie dies oder das nicht getan haben, können sie sich gar nicht mehr an den ausschlaggebenden Grund erinnern und konstruieren eine Ausrede aus Vernunftgedanken. Man habe beispielsweise den Porsche nicht gekauft, weil er nicht genügend Stauraum für die Golfausrüstung hätte. Der Kenner des Paares notiert für sich, dass der Platz sicher für seinen Golf-Bag gereicht hätte, aber darüber hinaus nicht für ihren Beauty-Case, schließlich hat er, der Kenner und Single, selbst einen 911er in der Garage. Der Freund (dessen Frau sich nun über die neue Großraumlimousine freut) und der Single-Porsche-Fahrer werden sich verständnisvoll zunicken und das Thema wechseln. Sigmund Freud hat für diese Symptomatik sicherlich einige kluge Erklärungen parat. Die Gehirnforschung bestimmt auch. Ich nenne es ›Ausweichverhalten als aktive Friedenspolitik in der kleinsten Einheit sozialer Gefüge‹.
9
Wird der Haussegen gehäutet, hält sich der Hausgeist lieber stumm zurück und tut wie ihm geheißen.
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