Totenkönig (German Edition)
Pyramide von Meridias vor sich.
Larkyen und Patryous vermochten ihr Staunen kaum zu verbe rgen, denn sie hatten bisher nur wenige Gebäude erblickt, die derart imposant waren.
„Wir befinden uns nun am sichersten Ort in der ganzen Stadt“, sagte Wanar. „Jedes noch so skrupellose Gildenmitglied würde b ereits beim Anblick der Pyramide die Flucht ergreifen.“
Während sie an den Wachtürmen vorbeigingen, wussten sie sich den aufmerksamen Blicken Dutzender menschlicher Augen ausg esetzt. Langbögen waren auf sie gerichtet, doch ihre Pfeile würden niemals eine Gefahr für die Unsterblichen bedeuten. Und Larkyen bemerkte noch andere Wachen. Im Schatten der Türme erkannte er die Silhouetten von Kriegern, die sich nahezu perfekt an ihre Umgebung angepasst hatten und regelrecht mit ihr verschmolzen. Menschenaugen hätten sie niemals sehen können.
Larkyen nickte beeindruckt und sagte: „Ihr setzt also Kaysaren zum Schutz eures Rates ein.“
Wanar sah den Unsterblichen verblüfft an: „Hoher Herr, woher weißt du das? Kannst du sie sehen?“
Patryous lächelte. „Unseren Augen und Ohren entgeht nichts.“
„Ich und meine Soldaten wissen von den Kaysaren, nur hat keiner von uns sie je zuvor erblickt. Sie leisten treue Dienste und werden gut bezahlt, sie haben eine eigene Siedlung im Norden der Stadt, wo es viele Bäume gibt, in denen sie sich verbergen können. Meridias bietet vielen Völkern ein neues Heim.“
Der mit Säulen versehene Vorbau der Pyramide schützte ein breites Tor, dessen zwei Hälften auf Wanars Kommando von den Soldaten geöffnet wurde. Dahinter erstreckte sich ein Gang, und Larkyen und Patryous mussten noch zwei weitere Tore hinter sich lassen, bevor sie sich ihrem eigentlichen Ziel näherten.
Nach einer Weile des Schweigens sprach nun Oberbefehlshaber Wanar wieder zu ihnen, und in seiner Stimme schwang Stolz mit: „Hinter diesen Toren wurde Geschichte geschrieben, viele denkwü rdige Ereignisse der Menschheitsgeschichte fanden dort statt. Es war die Halle des Rates, in der vor über dreihundert Jahren verkündet wurde, dass sich die Zeit auch an den Gestirnen des Himmels ablesen lässt und jedes Jahr 365 Tage haben soll. Auch die Friedenserklärung zwischen Atland und Bolwarien wurde hier verfasst, ebenso wurde die Gründung des Waldreichs Wotar hier beschlossen. Und euer Besuch wird ein weiterer denkwürdiger Moment sein.“
Die letzten Tore öffneten sich, und sie betraten einen großen Saal. Jeder ihre Schritte hallte von den glatten Wänden wider. Aufwendige Malereien von beeindruckender Detailliertheit zierten den Stein. E ines zeigte das Bild eines riesenhaften bleichen Wesens, zu dessen Füßen die nur halb so großen Menschen in Scharen niederknieten. Ein anderes Bild zeigte den Bau der Pyramide, der von dem bleichen Riesen beaufsichtigt wurde; er schwang eine Peitsche, die sich über die Köpfe der Arbeiter schlängelte. Das nächste Bild zeigte bereits die fertige Pyramide und einige ringsum errichtete Häuser, und wieder war das bleiche Wesen zu sehen, dieses Mal schien es die Stadt gegen ein anrückendes Heer zu beschützen. Ein besonders großes Gemälde zeigte jene Schlacht und wie das bleiche Wesen sich durch die Reihen des Heeres grub. Und auch der Sieg des Riesen war festgehalten worden, er reckte seine Faust triumphierend gen Himmel und stand erhaben inmitten eines Feldes zerfetzter Leiber.
Patryous strich mit den Fingern über die farbigen Gemälde. Es war nur eine optische Täuschung, aber einen Moment lang schien es, als stehe sie kurz davor, in das Gemälde einzutauchen wie in eine and ere, längst vergessene Welt.
Dann verharrten sie einen Moment lang vor einem Gemälde, das den Riesen zeigte, wie er vor einem Altar stand. Einem Opfer gleich lag darauf eine kleine Menschengestalt. Der Riese berührte sie mit beiden Händen, als wolle er sie liebkosen oder gar zerquetschen. Als wolle er durch seine Berührung das Leben aus ihr herausziehen, wie es die Söhne und Töchter der schwarzen Sonne taten.
„Was bedeuten diese Malereien?“ fragte Larkyen. „Ich habe selten eine derartige Kunstfertigkeit erblickt, fast scheint es, die Bilder seien lebendig. Es ist als blicke man durch ein Fenster.“
„Manche Meridianer würden sogar sagen, es sind Fenster zu der Vergangenheit unserer Stadt. Sämtliche Malereien erinnern an eine uralte Geschichte, die man sich bei uns einst erzählt hat.“
„Die Sage über den großen Erbauer Meridias“, sagte
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