Totenkönig (German Edition)
an.
„Ratsherr Granyr war 1100 Jahre alt, ich spürte es deutlich, als ich seine Lebenskraft in mich aufnahm.“
„Kein Mensch wird jemals so alt, du musst dich irren.“
„Nein, ich irre mich nicht. Er war über tausend Jahre alt. Doch wie ist so etwas möglich?“
Patryous trat an den Toten heran, und auch sie strich über seine Haut, sah lange in die Augen, die sich langsam trübten. „Er scheint mir ein gewöhnlicher alternder Mann gewesen zu sein, nichts deutet auf eine außergewöhnliche Lebenszeit hin.“ Dann drang sie mit ihrer Hand in den Brustkorb des Ratsherrn ein, Rippenknochen barsten, Blut si ckerte aus der Wunde. Ihre Finger hatten sich um das Herz des Mannes geschlossen, und sie riss es ihm aus seinem Leib und untersuchte es genau. „Merkwürdig, dies ist nicht das Herz eines alten Mannes, dafür ist es zu stark und kräftig, wie das eines Menschen im besten Lebensalter. Dem Herz nach zu urteilen würde ich behaupten, der Mann sei der Zeitrechnung der Sterblichen nach höchstens 21 Jahre alt gewesen. Vielleicht ist dieses Gebäude der Grund für eine solche Abnormität. Wenn bereits in Kyaslan behauptet wurde, die Pyramiden würden eine fremdartige Kraft in sich bergen, dann hätten wir hier einen Beweis dafür entdeckt.“
„Es wäre die einzige erklärbare Lösung. Jene Kraft könnte sich auf den Leib eines Sterblichen auswirken, indem sie sein Leben um ein Vielfaches verlängert.“
„Wanar sagte, der hohe Rat verlässt fast niemals die Pyramide, und auch Granyr bestätigte uns diese Tatsache. Seine Teilnahme am Rat der Völker in Bolwarien war damals nur sehr kurz. Er reiste schon am nächsten Tag wieder ab.“
Larkyen nickte. „Die anderen Ratsmitglieder müssen ähnlich alt sein. Als ich mich in in ihrer Nähe aufhielt, spürte ich auch von ihren Le ibern eine höhere Lebenskraft ausgehen, als ich es sonst von Sterblichen gewohnt bin.“
„Vielleicht kann uns Wanar diese Fragen beantworten. Er wartet noch immer vor dem Tor, ich kann das Schlottern seiner Knie h ören.“
Larkyen rief nach dem Oberbefehlshaber der Wachmannschaften, und seine Stimme war so laut, dass sie selbst durch die mächtigen Tore der Ratshalle drang.
Nur zaghaft trat Wanar ein. Er sah nervös zu den Stühlen empor, auf denen er den Rat der Neun erwartet hatte. Als er den toten Rat sherrn zu Larkyens Füßen liegen sah, weiteten sich seine Augen. Wanar erstarrte in der Bewegung. „Was ist geschehen? fragte er mit bebender Stimme.
„Granyr ist tot“, sagte Larkyen kühl.
„Wie ist er gestorben?“ Aus Wanars Gesicht war abzulesen, dass er die Antwort auf diese Frage längst kannte. Und es war nur ein Schutzreflex, seine Unwissenheit zu heucheln, während er einem Lebensfresser in die Augen blickte.
„Ich habe ihn getötet.“ Dieses offene Bekenntnis erfüllte Wanar mit Furcht. Larkyen wusste, dass der Mann innerlich mit sich um die Entscheidung rang, was nun zu tun war. Wanar war verpflichtet, sein Schwert zu ziehen, um den Tod des Ratsherrn zu vergelten, so sin nlos dieses Unterfangen auch war. Aber Larkyen ermahnte ihn mit der Strenge seines Blickes, nichts dergleichen zu tun.
„Was wollt ihr nun von mir?“ fragte Wanar. Der Soldat wich e inen vorsichtigen Schritt zurück.
„Wir haben Fragen an dich“, sagte Larkyen. „Ratsherr Granyr war über tausend Jahre alt.“
„Davon weiß ich nichts“, flüsterte Wanar.
„Ich erkenne einen Lügner wenn ich ihm in die Augen sehe, und in deinen Augen sehe ich die Lüge und die Furcht davor, die Wah rheit zu sagen. Doch wir werden uns unterhalten, und du wirst uns sagen, was immer wir wissen wollen.“
Wanar verbeugte sich tief und bat um Entschuldigung.
„Mir missfällt das demutsvolle Verhalten von euch Menschen mir gegenüber nur zu oft, besonders wenn sie nicht meine Feinde sind“, sagte Larkyen. „Du und ich, Wanar, wir unterhalten uns entweder auf Augenhöhe, oder wir schweigen beide.“
Kapitel 5 – Der Traum von der Unsterblichkeit
„Wenn die Ratsmitglieder erfahren, dass ich über ihre Geheimnisse spreche, wird man mich hart dafür bestrafen.“
„Welche Wahl hast du schon?“ So schön Patryous Stimme auch klang, der drohende Unterton, der darin mitschwang, hätte das Blut des Soldaten zu Eis gefrieren lassen können.
Nur zaghaft begann Wanar weiterzusprechen. „Natürlich ist mir aufgefallen, dass die Ratsmitglieder nicht altern. Und auch der Dienerschaft ist dieses Mysterium bekannt. Doch wagt es niemand, die
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