Totenkönig (German Edition)
versprochen, wenn sie gegen uns kämpfen würden. So wie vielen Meridianern blieb auch dir das Massaker an unserer Gilde verborgen, und jene, die all diese Morde miterlebten, versuchen es seitdem zu vergessen.“ Sie streifte ihre Kapuze ab und legte ihr Gesicht frei. Ihre einst so zarten Züge waren hinter einer langen Narbe verschwunden. „Wann immer ich mein Spiegelbild erblicke, werde ich an jenen Tag erinnert. Ich werde das Massaker niemals vergessen. Ich werde niemals vergessen, wie meine Mutter durch Mitglieder der Velorgilde vergewaltigt und ermordet wurde, und wie sie meine beiden Brüder und meine jüngere Schwester enthaupteten …“
„Schweig, Lysar!“ zischte Lemar. „Es ist genug, schweig en dlich.“
„Ich bedaure eure Verluste“, flüsterte Wanar. Der Soldat senkte se inen Blick für einen Moment.
Jetzt war es wieder Lemar, der sprach: „Wanar, du sollst lernen, en dlich die Wahrheit zu erkennen, nur deshalb ist dein Leib noch nicht mit den Pfeilen unserer Bögen gespickt.“
„Klärt euren Konflikt ein andermal“, rief Patryous. „Wir müssen weiter, die Velors werden bald hier sein.“
„Dann folgt mir“, murrte Lemar. „Und schweigt, während wir uns fortbewegen. Über manche der Rohre und Kanäle dringt jedes Wort bis an die Ohren unserer Feinde. Und wir werden ihnen oftmals sehr nahe sein.“
Lemar der Schatten ging ihnen voran, er bewegte sich trotz seiner schrägen Körperhaltung und dem Stock schneller als ihm zuzutrauen war.
Fortan trug Larkyen den bewusstlosen Khorgo. Der Unsterbliche fühlte unter seinen Fingerspitzen die Lebenskraft des Majunay, er lauschte auch weiterhin dessen Herzschlag und der Atmung. Manchmal gab Khorgo ein leises Ächzen von sich und murmelte den Namen seiner Tochter. Einmal riss der alte Krieger sogar die Augen auf und blickte panisch um sich. „Dieses Monster hat Zaira entführt“, keuchte er. „Es hat meine Tochter entführt!“
„Ruhig, mein Freund“, flüsterte Larkyen. „Wir werden sie zurückholen.“
Patryous nickte Larkyen bestätigend zu. Er war froh, sie an seiner Seite zu haben, schon jetzt konnte er ahnen, dass es schwierig we rden würde, Meridias, den Erbauer der weltgrößten Stadt, aufzuspüren und zu bekämpfen. Er hatte die Macht des Riesen auf dem Schlachtfeld spüren können, sie war gewaltig gewesen.
Der Gang verlief abwärts, der schlammige Boden wurde feuchter und rutschiger. Ein Abgrund tat sich vor ihnen auf. Eine geländerlose Steinbrücke führte über ein Wasserbecken auf die andere Seite. Die Luft stank nun noch stärker nach Moder. In angrenzenden Rohren hallte das Quieken der Ratten wider, in der Ferne rauschte ein Wa sserfall.
Nach einer Kreuzung betraten sie einen weiteren Kanal, der nur wenig Wasser führte. Gelegentlich fielen durch rostige Eisengitter in der Decke schmale Lichtkegel herab. Für einen Moment war der Himmel zu sehen, die Sonne würde bald untergehen.
„Wir befinden uns unter der Hauptstraße, die direkt durch das Velorgebiet führt“, flüsterte Lemar. Er grinste breit. „Hier vermuten uns diese Bastarde am wenigsten.“
Der Kanal mündete in eine Zisterne, deren Wände teilweise ei ngestürzt waren. Lemar kroch ihnen voran durch ein breites Loch in dem Mauerwerk, dahinter tat sich im Schein seiner Fackel ein großer Raum auf. Decken und Felle lagen dicht beieinander auf dem Boden, zwei Weinfässer standen in der Mitte, und Kisten mit Brot und Obst stapelten sich ganz in der Nähe. Beinahe überall standen Kerzen, deren ausgehärtete Wachspfützen den Boden sprenkelten.
„Das ist unser Zuhause“, erklärte Lemar. „Seid uns willkommen. Die Feinde unserer Feinde sind unsere Freunde. Die Schattengilde hat das Ostviertel niemals verlassen und macht ihren Namen heute all emal mehr Ehre als früher.“
Larkyen legte Khorgo behutsam auf ein Fell. Die anderen Maj unay ließen sich ebenfalls nieder, sie waren erschöpft. Von ihrer Reisegruppe waren nur noch neunzehn Personen am Leben – sechs Männer, von denen nur vier im kampffähigen Alter waren und einen Säbel besaßen, acht Frauen, und fünf Kinder. Die Stadt der Welt hatte ihnen allen kein Glück gebracht.
Die Mitglieder der Schattengilde versorgten die Ostländer mit Brot und Wein, und Patryous behandelte ihre Wunden. Das Schluc hzen von verwitweten Frauen und verwaisten Kindern erklang. Larkyen hatte dieses Wehklagen nur zu oft gehört, längst hatten sich seine Ohren daran gewöhnt.
Lemar musterte die Majunay und
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