Totenkopf-TV
ich.
»Ja.«
»Haben Sie mal über eine Erklärung nachgedacht?«
»Nein, Mr. Conolly, das habe ich nicht. Meiner Ansicht nach hat es keine Erklärung dafür gegeben. Das ist ja alles wie aus dem Nichts erschienen. Ich konnte nichts tun, wir konnten nichts tun. Das Grauen war einfach da und schlug zu.«
»Wo befindet sich die Tote jetzt?« erkundigte ich mich.
»In einer der Garderoben.«
»Führen Sie uns hin.«
Ross Beckman nickte, bevor er sich schwerfällig erhob. Kreisförmig wischte er über sein Gesicht und schaute auf die Handfläche, wo ein feuchter Schweißfilm lag. Mehr zu sich selbst gewandt, flüsterte er: »Ich verliere meinen Job. Das ist ein verdammter Bockmist. Man wird mich feuern.«
»Denken Sie eigentlich nicht an die Tote?« fragte ich. »Sie leben, aber Ellen Page nicht.«
»Die braucht sich wenigstens nicht mehr aufzuregen.«
Bill und ich schüttelten die Köpfe. Dieser Zynismus war uns beiden unverständlich.
Der Aufnahmeleiter verließ vor uns das Büro. Wir blieben dicht hinter ihm, und wir hatten kaum den kurzen Gang verlassen, als sich einige Leute auf uns stürzten.
Jeder hatte irgendeine Frage, aber Ross Beckman winkte nur ab. »Ich will meine Ruhe haben, verdammt!« schrie er plötzlich, als ein Mann mit einer weißen Mütze auf den Kopf nach seiner Schulter fasste. »Später, alles später…«
»Dann kann TTV schon pleite sein!«
»Ist mir doch scheißegal.«
Beckman hatte wieder gebrüllt. Die Leute zuckten zusammen und starrten ihn erstaunt an. Einige schüttelten die Köpfe, und aus dem Hintergrund meldete sich eine kratzige Stimme. »Wir haben den Sender umgetauft. Er nennt sich jetzt Totenkopf-TV.«
Andere begannen zu lachen. Beckman aber lief rot an. Bevor er noch herumtoben konnte, drückte ich ihn weiter, und er verließ mit uns zusammen das Studio.
»Wie Hyänen!« knirschte er. »Die sind wie verdammte Hyänen.«
Ich dachte an seine zynische Antwort vorhin und konnte mir die folgende Bemerkung nicht verkneifen. »Sind Sie anders?«
»Im Prinzip nicht. In dieser Branche wird man so.«
»Sie übertreiben«, widersprach Bill.
Beckman sagte nichts mehr. Wir gingen in einen anderen Trakt, mussten eine kleine Treppe hochsteigen und gelangten dorthin, wo die Garderoben lagen. Es war bereits zu riechen. Der Geruch von Puder und Schminke erfüllte die Luft.
»Die Tote ist nicht allein«, sagte er noch. »Molly, die Garderobenfrau, hält die Leichenwache.«
Molly hob den Kopf, als wir den Raum betraten, und wir schauten in ihre verweinten Augen. Flüchtig machten wir uns bekannt, bevor wir uns der Toten zuwandten.
Zum erstenmal sah ich Ellen Page nicht auf dem Bildschirm. Sie trug noch immer ihr Kleid, lag auf einer Liege, und die Augen waren ihr zugedrückt worden.
Uns interessierte zuerst ihr Hals. Ihn sahen wir genauer an und erkannten gleich die roten Abdrücke im Fleisch, die von den knochigen Totenklauen hinterlassen worden waren. Dies war praktisch der letzte Beweis dafür, auf welche Weise man sie getötet hatte. Der Mord war echt gewesen.
Sicherheitshalber fühlte ich nach Puls-und Herzschlag. Da war nichts mehr zu machen. Ich richtete mich wieder auf.
Beckman war an der Tür stehen geblieben. Er fühlte sich sichtlich unwohl und trat von einem Bein auf das andere. »Brauchen Sie mich noch?« fragte er heiser.
»Wo können wir Sie denn finden, wenn wir Fragen haben?«
»Im Studio acht. Da sind wir gerade hergekommen.«
»All right, Sie können dort bleiben.«
»Danke.« Er verschwand und war sichtlich erleichtert.
Die Garderobenfrau wollte auch gehen, sie hielten wir zurück. »Bleiben Sie«, bat ich. »Wir möchten mit Ihnen reden.«
Molly nickte. Auf einem schmalen Stuhl hatte sie Platz genommen. Den Kopf hielt sie gesenkt, und sie weinte noch immer. Dabei traute sie sich nicht, den Blick auf die Leiche zu werfen. Wahrscheinlich hatte sie die Tote schon zu oft anschauen müssen.
Ich sprach sie an. »Kannten Sie Miss Page gut?«
»Ja, Sir.«
»Wie lange?«
»Seit sie hier anfing. Ich kenne fast alle hier. Ich bin praktisch am längsten da.«
»Und sie verstanden sich gut mit ihr!«
»Sicher.«
»Was war sie für ein Mensch?«
Die Garderobiere hob die Schultern. »Sie war immer nett, aber im Laufe der Zeit änderte sie sich. Wir haben mal bei einem anderen Sender gearbeitet, wurden durch ein höheres Gehalt abgeworben, aber Ellen hat es nicht verkraftet. Sie mochte den Sender nicht mehr. Sie hat erkannt, dass sie allmählich zu alt
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