Totenkünstler (German Edition)
Kunde?«
»Seit ein paar Jahren.«
»Wann haben Sie sich zuletzt getroffen?«
»Ist noch gar nicht so lange her.«
»Könnten Sie etwas genauer werden?«
Wieder eine kurze Pause, während im Hintergrund gekramt und geraschelt wurde. Hunter vermutete, dass Nicole in ihrer Handtasche oder in einer Schublade nach etwas suchte.
»Vor etwas über fünf Wochen, am 13. Mai.«
»Okay, und was ist mit dem Mann hier?«
Alice hielt die Aufzeichnung an. »Als Nächstes habe ich ihr ein Foto von Nathan Littlewood gezeigt«, erklärte sie, ehe sie das Tonband weiterlaufen ließ.
»Ja, der kommt auch zu mir … hin und wieder. Nicht so oft wie Paul. Nennt sich Woods.« Ein lebhaftes Lachen folgte. » Überschätzt sich da ein bisschen, wenn Sie wissen, was ich meine, aber der Name gefällt ihm, also von mir aus.«
»Mochte der es auch gerne … hart?«
Nicoles raues, kehliges Lachen klang wie das einer viel älteren Frau. »Alle meine Kunden mögen es hart, Lady. Deswegen kommen sie ja zu mir und gehen nicht für zwei Dollar die Stunde zu irgendeiner x-beliebigen Nutte aus West Hollywood. Bei mir kriegen sie was fürs Geld.«
An dieser Stelle schüttelte Alice leicht den Kopf. Offenbar ging es über ihren Verstand, wie sich eine Frau gegen Bezahlung beschimpfen und misshandeln lassen konnte.
»Und wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?«
Mehr Seiten wurden umgeblättert. »Zu Beginn des Monats, am Zweiten.«
»Ich zeige Ihnen noch ein paar Bilder.« Alice sah zu Hunter und Garcia und formte stumm »Derek Nicholson« mit den Lippen.
»Äh, nee, den hab ich noch nie gesehen.«
»Sind Sie sicher?«
Mehrere Sekunden Schweigen. » Ja, ganz sicher.«
»Der war also nie Kunde bei Ihnen?«
»Hab ich doch grad gesagt.«
»Okay, eine Frage noch. Wissen Sie zufällig, ob Paul und Woods sich kannten? Haben die beiden Sie mal zusammen gebucht oder so was Ähnliches?«
»Nee, Gruppensex mache ich nicht. Das ist mir zu heftig. Das machen meine Kunden auch gar nicht mit. Wenn die mich buchen, wollen sie mich für sich allein haben.« Erneut ein kehliges Lachen. »Aber klar, die kannten sich. Wegen Paul ist Woods überhaupt erst zu mir gekommen. Als Paul vor ein paar Jahren die ersten Male bei mir war, hat er gesagt, er hat einen Freund, der mich wahrscheinlich auch gern mal treffen würde. Ich hab ihm gesagt, er soll ihm halt meine Nummer geben. Eine Woche später hat dann Woods angerufen.«
94
Nachdem Alice das Diktiergerät ausgeschaltet hatte, brachte Hunter sie auf den neuesten Stand und berichtete ihr, was er tags zuvor in Nathan Littlewoods Wohnung gefunden hatte. Sie konnte ihre Enttäuschung darüber, dass ihre bahnbrechende Entdeckung letzten Endes gar nicht so bahnbrechend war, nicht verbergen. Doch trotz allem hatte sie etwas sehr Wichtiges herausgefunden. Anhand des Fotos aus Littlewoods Wohnung konnten sie lediglich beweisen, dass Andrew Dupek und Nathan Littlewood sich vor etwa dreißig Jahren gekannt hatten. Alice hingegen hatte entdeckt, dass sie auch kurz vor ihrem Tod noch miteinander zu tun hatten, und das war eine nicht unbedeutende Tatsache. Zu alten Bekannten, seien es Schulkameraden, Kommilitonen, Nachbarn, Kollegen, verlor man schnell den Kontakt. Dass Dupek und Littlewood irgendwann einmal vor dreißig Jahren einen Nachmittag lang zusammen Bier im Park getrunken hatten, bedeutete noch lange nicht, dass sie Freunde gewesen waren. Alices Entdeckung aber bewies genau das – und mehr noch: dass die beiden immer noch befreundet gewesen waren.
»Ich habe mir sämtliche Telefonrechnungen angesehen«, sagte Alice. »Es gab keinen direkten Kontakt zwischen Dupek und Littlewood, wenigstens nicht telefonisch. Aber wie Sie ja wissen, haben viele Leute mehr als ein Handy, und manchmal ist das zweite ein Wegwerfhandy.«
»Was ist mit Derek Nicholson?«
»Ich habe die halbe Nacht in seinen Einzelgesprächsnachweisen gesucht«, antwortete Alice. »Ich bin sechs Monate zurückgegangen, noch vor die Krebsdiagnose. Weder Dupeks noch Littlewoods Handynummer taucht irgendwo bei ihm auf. Und seine Nummer steht auch nicht auf ihren Rechnungen.«
Gegen Ende des Nachmittags bekam Garcia einen vorläufigen Bericht von seinem Recherche-Team. Bislang hatten sie die Schul-und Collegeakten sowie frühere Meldeadressen der Mordopfer überprüft. Sie hatten nichts gefunden, was den Schluss zuließe, dass die drei sich aus der Nachbarschaft, von Schule oder Studium her gekannt hatten. Garcia bat sie weiterzusuchen – nach
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