Totenkünstler (German Edition)
Canoga Park.
Das Wetter hatte erneut gewechselt. Hunter roch Regen in der Luft. Er parkte seinen Wagen außer Sichtweite und ging vorsichtig zu Fuß weiter. In der abendlichen Dunkelheit brauchte er für die Strecke vier Minuten.
Er kam an ein halb verfallenes Eisentor, durch das er auf den von Unkraut überwucherten Betonvorplatz eines verdreckten Industriegebäudes gelangte. Es schien sich um eine leerstehende Lagerhalle zu handeln, sie war alt, doch die Wände machten noch einen stabilen Eindruck. Die wenigen Fenster, die Hunter entdecken konnte, waren zerbrochen, befanden sich allerdings weit oben direkt unterhalb des Giebeldachs – zu hoch, als dass man ohne Leiter hätte hinaufgelangen können.
Hunter ging hinter einem rostigen Müllcontainer in Deckung und beobachtete das Gebäude einige Minuten lang. Nichts regte sich. Also fuhr er fort, es in sicherer Entfernung zu umrunden. Auf der Rückseite angekommen, sah er den schwarzen Pick-up. Denselben Pick-up, dem er schon den ganzen Tag lang gefolgt war.
So leise wie möglich schlich Hunter im Schutz der Dunkelheit näher.
Erst als er den Pick-up erreicht hatte, erkannte er den Umriss einer etwa zweieinhalb Meter breiten eisernen Schiebetür in der hinteren Wand des Gebäudes. Sie stand offen, und die Lücke war groß genug, dass Hunter hindurchschlüpfen konnte, ohne die Tür weiter aufschieben zu müssen. Ein Glück – der rostzerfressene Mechanismus wäre bestimmt nicht gerade leise gewesen.
Er betrat die Lagerhalle, blieb kurz stehen und lauschte. Es war vollkommen finster. Nur durch die zerborstenen Fensterscheiben unter dem Dach konnte Licht hereindringen, und in einer mondlosen Nacht nutzte dies Hunter herzlich wenig. Es roch nach Urin und Verfall. Die Luft war abgestanden und stickig und stach ihm beim Einatmen in Hals und Nase.
Es war nichts zu hören, also wagte er es, seine Taschenlampe einzuschalten. Der etwa fünfundzwanzig mal fünfundzwanzig Meter große Raum hatte lediglich eine weitere Tür. Sie war aus angelaufenem blaugrauem Stahl und befand sich direkt gegenüber am anderen Ende der Halle. Der Betonboden war übersät mit leeren Flaschen, benutzten Kondomen, Glasscherben, Spritzen und anderem Unrat, den Obdachlose und Junkies zurückgelassen hatten. Hunter bemühte sich, nicht hineinzutreten, als er langsam auf die Stahltür zuschlich. Auch sie stand offen, allerdings nur einen Spaltbreit. Um sich hindurchzuzwängen, würde er sie ein Stück weiter aufschieben müssen. Jenseits der Tür sah er ein fahles Licht schimmern.
Er schaltete seine Taschenlampe wieder aus, wartete kurz, bis sich seine Augen an die Düsternis gewöhnt hatten, entsicherte seine Heckler & Koch USP .45 Tactical und machte sich bereit, die Tür aufzustoßen. Genau in diesem Moment hörte er aus dem nächsten Raum ein durchdringendes mechanisches Surren wie von einer kleinen Kettensäge oder einem Elektromesser, unmittelbar gefolgt von dem markerschütternden Schrei eines Mannes.
Das Spiel war aus. Zum Teufel mit der Heimlichkeit.
Hunter stieß die Tür auf und trat mit gezogener Waffe ein. Dieser Raum war deutlich kleiner als der erste, vielleicht sechs Meter im Quadrat. Das blasse Licht, das ihn erhellte, kam von zwei batteriebetriebenen Stehlampen, die nebeneinander im Abstand von einem Meter zur hinteren Wand aufgebaut worden waren. Zwischen den Lampen stand ein Metallstuhl, der aussah wie ein Behandlungsstuhl im Krankenhaus.
Auf dem Stuhl saß ein nackter, an Füßen und Händen gefesselter Mann. Er war Anfang fünfzig, hatte dicke Backen, ein spitzes Kinn und dichtes, graues Haar. Er hob den Kopf und sah Hunter mit Verzweiflung in den Augen an.
Es dauerte eine Weile, bis Hunter ihn wiedererkannt hatte. Sie waren sich schon mindestens einmal begegnet, auf irgendeiner offiziellen Veranstaltung, höchstwahrscheinlich bei der Verleihung der LAPD-Ehrenmedaillen im letzten Jahr. Sein Name lautete Scott Bradley, und er war der jüngere Bruder von Dwayne Bradley, dem Bezirksstaatsanwalt von Los Angeles. Doch nicht nur das – Hunter kannte auch die Person, die mit einem elektrischen Tranchiermesser in der Hand hinter dem Stuhl stand.
Er hatte einen Verdacht gehabt. Trotzdem wollte er seinen Augen kaum trauen.
112
Captain Fallon und Frischling Neil Grimshaw bildeten SWAT-Team Gamma. Ihre Aufgabe war es, durch die große Glastür auf der Veranda ins Schlafzimmer einzudringen. Da die Vorhänge zugezogen waren, gab es keinerlei Möglichkeit, festzustellen, ob sich
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