Totenkünstler (German Edition)
legte ihren Aktenkoffer darauf ab, ließ den Deckel aufschnappen und holte mehrere zusammengeheftete Blätter heraus.
»Das hier ist eine Liste sämtlicher Straftäter, die direkt oder indirekt durch Derek Nicholsons Zutun ins Gefängnis gekommen sind.« Sie reichte die Blätter an Hunter weiter. »Da stehen einige ziemlich unangenehme Zeitgenossen drauf. Sie ist nach Schwere der Verbrechen geordnet – extrem brutale und sadistische Gewalttaten stehen ganz oben –, außerdem nach Personen, die entlassen wurden oder auf Bewährung beziehungsweise Kaution draußen sind.« Ihr Blick pendelte zwischen Hunter und Garcia hin und her. »Ich habe es bereits überprüft: Kein Gewaltverbrecher, dem Nicholson den Prozess gemacht hat, wurde kürzlich freigelassen – weder auf Bewährung noch nach verbüßter Haftstrafe. Geflohen ist auch keiner. Denjenigen, die minderschwere Straftaten begangen und ihre Zeit abgesessen haben oder, aus welchen Gründen auch immer, frühzeitig entlassen wurden, traue ich nicht zu, dass sie zu einem Verbrechen wie dem hier fähig sind.«
»Sie würden sich wundern, wozu die Leute fähig sind«, meinte Garcia und gesellte sich zu Hunter, um ebenfalls einen Blick auf die Liste zu werfen. »Gerade die, denen man es nicht zutraut.«
»Sie haben die dazugehörigen Akten gelesen?«, wollte Hunter wissen.
»Die wichtigsten, ja.«
»Und wer hat über ihre Wichtigkeit entschieden, Sie?«
Darauf gab Alice keine Antwort.
Hunter fixierte sie einen Moment lang, ehe er in der Liste zu blättern begann. Sie enthielt mehr als neunhundert Namen. »Sie sagten eben, keiner der Gewaltverbrecher auf dieser Liste sei kürzlich freigekommen. Was meinen Sie mit ›kürzlich‹?«
»Innerhalb des letzten Jahres.«
»Wir müssen weiter zurückgehen«, sagte Hunter.
»Kein Problem. Wie weit hätten Sie’s denn gern?«
»Fürs Erste fünf Jahre, vielleicht auch zehn.«
»Geben Sie mir einen Computer mit schnellem Internetzugang und ein paar Minuten Zeit, und Sie kriegen, was Sie wollen.«
»Ich muss wissen, wofür jede einzelne Person auf dieser Liste vor Gericht stand.«
»Das steht doch drauf, direkt neben Name und Alter«, sagte Alice leicht kratzbürstig und deutete mit dem Kinn zur Liste.
Hunters Blick ruhte auf ihrem Gesicht. »Da steht ›Mord‹, ›Mord im besonders schweren Fall‹, ›bewaffneter Raubüberfall‹ und so weiter. Wir müssen genau wissen, um welche Verbrechen es sich handelt und wie sie begangen wurden. Welche Waffen wurden benutzt? War der Tatort ungewöhnlich blutig? Hat der Täter im Affekt gehandelt, oder hat ihm die Ausübung von Gewalt Vergnügen bereitet? Wir brauchen exakte Angaben.«
»Wie gesagt, kein Problem. Geben Sie mir einfach einen Rechner.«
»Außerdem müssen wir zu den Namen auf der Liste sämtliche Familienangehörigen, Verwandten oder Mitglieder derselben Gang finden, die auf freiem Fuß sind und irre genug sein könnten, stellvertretend für jemand anderen Rache zu nehmen.«
»Kein Problem.«
Hunter sah auf die Liste, dann zu Garcia und dann wieder zu Alice. »Sie sind sich Ihrer Fähigkeiten ja sehr sicher. Halten Sie sich für so gut?«
Einen Moment lang erhellte ein Lächeln ihr Gesicht. »Sogar für noch besser«, gab sie seelenruhig zurück. »Besorgen Sie mir einen Rechner, und ich mache mich sofort an die Arbeit.« Sie zeigte auf die Liste in Hunters Händen. »Bis dahin haben wir immerhin schon mal einen Anfang.«
Eine Weile sagte niemand etwas.
Bis Garcia schließlich fragte: »Wir …?«
»Bezirksstaatsanwalt Bradley wünscht, dass ich Ihnen, so gut ich kann, unter die Arme greife. Das heißt doch, wir sind ein Team, oder nicht?« Ihr Blick kehrte zu Hunter zurück.
»Ms Beaumont«, sagte dieser und legte die Liste auf seinen Schreibtisch. »Dies hier ist das Morddezernat, nicht der Club Med. Wir sind uns bewusst, dass Bezirksstaatsanwalt Bradley so schnell wie möglich Ergebnisse sehen möchte, und uns geht es genauso. Wir wissen Ihre Hilfe sehr zu schätzen, und diese Liste ist ein guter Ansatzpunkt für uns, da gebe ich Ihnen zu hundert Prozent recht. Aber ich habe gar nicht die Befugnis, irgendjemanden in diese Ermittlung mit einzubeziehen, ohne das vorher mit meinem Captain abzuklären. Und mein Captain ist in der Regel alles andere als begeistert, wenn Zivilisten in den Angelegenheiten des Dezernats mitmischen.«
Alice lächelte und trat zur Pinnwand, an der die Tatortfotos aufgehängt waren. Sie hatte einen sinnlichen Gang. Langsam
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