Totenkünstler (German Edition)
uns wohl schenken. Die Untersuchung der gefundenen Fasern ist noch nicht abgeschlossen. Bei denen, die bereits analysiert wurden, handelt es sich um Baumwolle, Polyester, Acryl … Materialien, wie sie in fast allen Kleidungsstücken vorkommen. Nichts, was Ihnen einen Anhaltspunkt liefern könnte.«
Hunter stützte einen Ellbogen auf die Tischplatte. »Schon irgendwelche Tox-Ergebnisse, Doc?«
»Ja, aber nur weil ich Dampf gemacht habe. Das Labor ist überlastet.« Dr. Hove zögerte kurz. »Jetzt wird es erst richtig interessant. Und richtig abscheulich.«
Hunter winkte Garcia zu, um dessen Aufmerksamkeit zu erregen, und machte ihm ein Zeichen, bei seinem eigenen Apparat den Hörer abzuheben.
Erst dann fragte er: »Was haben die Tests ergeben?«
»Also, wir wissen ja, dass der Täter, um das Leiden seines Opfers zu verlängern, die Oberarmarterie des rechten Arms mit Hilfe einer Arterienklemme abgeklemmt und damit ein zu rasches Verbluten verhindert hat. Trotzdem gab es da eine Sache, die mir von Anfang an Rätsel aufgegeben hat.«
Hunter zog seinen Schreibtischstuhl heran und setzte sich. »Nicholsons labiler Gesundheitszustand.« Es war nicht als Frage formuliert.
»Eben. Das Opfer befand sich bereits im Endstadium einer tödlichen Lungenkrebserkrankung. Sein Körper war so schwach wie der eines Neunzigjährigen. Seine Schmerztoleranz, seine Kondition, all das war auf einen Bruchteil des Normalwerts gesunken. Jemand in seiner Verfassung hätte eigentlich schon nach dem Verlust eines einzigen Fingers tot sein müssen. Aber er hat fünf Finger verloren, alle zehn Zehen, seine Zunge und einen Arm, bevor er gestorben ist.«
Hunter und Garcia tauschten einen langen, unbehaglichen Blick.
»Wie ich erwartet hatte«, fuhr die Rechtsmedizinerin fort, »wurde er nicht betäubt, aber er war trotzdem mit Medikamenten vollgepumpt. Die Toxikologie hat hohe Dosen diverser Präparate in seinem Blut nachgewiesen, was in Anbetracht seines Gesundheitszustands zunächst mal nicht weiter verwundert. Einige dieser hochdosierten Präparate allerdings wollen so gar nicht ins Bild passen.«
»Zum Beispiel?«
»Es wurden hohe Dosen Propafenon, Felodipin und Carvedilol nachgewiesen.«
Garcia sah Hunter an und schüttelte den Kopf. »Langsam, Doc. Werfen Sie nicht mit Chemiker-Jargon um sich. Chemie war in der Schule nicht gerade mein stärkstes Fach, und überhaupt ist die Schule Jahre her. Was sind das für Mittel?«
»Propafenon ist ein Natriumkanalblocker. Verlangsamt die Aufnahme von Natrium-Ionen in den Herzmuskel. Felodipin ist ein Calciumantagonist und regelt zu hohen Blutdruck. Carvedilol ist ein Betablocker. Er verhindert, dass sich Norepinephrin und Epinephrin an die Beta-Andrenozeptoren binden. Eine Kombination dieser drei Präparate hemmt außerdem mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit die körpereigene Adrenalinproduktion.«
Garcia zog so heftig die Brauen zusammen, dass seine Stirn aussah wie eine Dörrpflaume. »Sie haben mich vorhin gehört, als ich gesagt habe, dass Chemie nicht mein stärkstes Fach war, oder, Doc? Okay, dasselbe gilt für Biologie. Tun Sie doch einfach so, als wäre ich ein siebenjähriges Kind, und erklären Sie mir alles noch mal von vorn.«
»Kurz zusammengefasst, handelt es sich um einen sehr starken Medikamentencocktail, der die Herzfrequenz herabsetzt, den Blutdruck senkt und die Produktion von Adrenalin in den Nebennieren hemmt. Wie Sie wissen, wird Adrenalin in Gefahrensituationen ausgeschüttet. Es ist das Angst-und-Schmerz-Hormon. Es lässt die Herzfrequenz ansteigen und erweitert die Luftgefäße, damit der Betreffende in die Lage versetzt wird, zu kämpfen oder zu fliehen.«
Garcia wirkte nach wie vor ratlos.
»Das heißt, der Täter hat den Blutdruck seines Opfers gesenkt«, warf Hunter ein, »und die Adrenalinausschüttung unterbunden.«
»Stimmt genau«, antwortete Dr. Hove. »Bei Gefahr oder Schmerzen, etwa wenn einem ein Finger, Zeh oder die Zunge abgeschnitten wird, schüttet der Körper automatisch Adrenalin aus. Der Herzschlag beschleunigt sich, und es wird mehr Blut in Gehirn und Muskeln, aber eben auch in den Wundbereich gepumpt. Die Präparate, von denen wir hier sprechen, blockieren diesen Prozess. Sie halten den Herzschlag auf Ruhefrequenz, wenn nicht sogar niedriger. Auf diese Weise wird weniger Blut durch die Gefäße gepumpt, das Opfer blutet also deutlich weniger stark als unter normalen Umständen. Allerdings hat keines der drei Mittel eine betäubende
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