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Totenkünstler (German Edition)

Totenkünstler (German Edition)

Titel: Totenkünstler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Carter
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unserer eigenen Fantasie. Es kann gut sein, dass auch die Interpretation der ersten Skulptur falsch ist. Wir haben keine Möglichkeit, es zweifelsfrei festzustellen.«
    »Dann finden Sie eine«, blaffte Captain Blake, die sich bereits auf dem Weg zur Tür befand. »Liefern Sie mir was Konkreteres als Spekulationen.« Sie sah Alice missbilligend an. »Und Sie machen sich besser sofort an die Liste, Miss Top-Rechercheurin-des-Bezirksstaatsanwalts.« Damit rauschte sie hinaus und ließ die Tür hinter sich zuknallen.
    Einen Sekundenbruchteil später klingelte das Telefon auf Hunters Schreibtisch. Er griff nach dem Hörer.
    »Detective Hunter«, sagte er und lauschte etwa zehn Sekunden lang, bevor er so heftig die Stirn runzelte, dass seine Augenbrauen fast aneinanderstießen. »Ich komme runter.«

37
    Das berühmte Parker Center hatte seit 1954 als Hauptquartier des Los Angeles Police Department gedient. Im Jahr 2009 war die gesamte Abteilung aus den alten Räumlichkeiten in der North Los Angeles Street Nummer 150 in ein neues, fünfundvierzigtausend Quadratmeter großes Gebäude unmittelbar südlich des Rathauses umgezogen. Das neue Police Administration Building beherbergt über zehn verschiedene Abteilungen des LAPD, unter anderem die Sitte, die Abteilung für Jugendkriminalität, die Abteilung für Wirtschaftsverbrechen, das Drogendezernat sowie das Raub-und Morddezernat. Insofern ist es nicht weiter verwunderlich, dass es in der Empfangshalle vor Menschen – in Uniform wie in Zivil – nur so wimmelt.
    Hunter hatte sie schnell entdeckt. Olivia Nicholson saß in einer der zahlreichen fest installierten Reihen aus Plastikschalensitzen in der Nähe der gläsernen Eingangstür. Sie trug ein konservatives schwarzes Rüschenkleid aus Chiffon zu schwarzen hochhackigen Pumps und stach damit aus der Masse wesentlich derber aussehender Menschen hervor wie ein heller Laserstrahl. Ihre überdimensionierte Sonnenbrille saß hoch oben auf ihrer zierlichen Stupsnase.
    »Ms Nicholson.« Hunter streckte ihr zur Begrüßung die Hand hin.
    Sie erhob sich, ergriff die dargebotene Hand jedoch nicht. »Detective, können wir reden?«, fragte sie mühsam beherrscht.
    »Selbstverständlich.« Hunter ließ die Hand sinken und sah sich rasch in der Lobby um. »Kommen Sie mit, ich finde ein ruhiges Plätzchen für uns.« Er lotste sie durchs Getümmel, öffnete mit Hilfe seiner Chipkarte ein elektronisches Drehkreuz und führte sie tiefer ins Gebäude hinein. Als sie den Lift betraten, schob sich Olivia die Sonnenbrille nach oben in die langen blonden Haare. Ihre Augen waren noch immer gerötet – zu viele Tränen und zu wenig Schlaf. Make-up kaschierte die dunklen Ringe unter ihren Augen, trotzdem sah man ihr die Erschöpfung an. Die Ungewissheit darüber, wer ihren Vater ermordet hatte, fraß an ihren Reserven, das war nur allzu deutlich.
    Hunter drückte auf den Knopf für den ersten Stock, in dem der Saal für die Pressekonferenzen und die Besprechungszimmer lagen. Angesichts der Foto-Pinnwand, der Nachbildung der Skulptur und der herumliegenden Fallakten kam ihr Büro als Ort für ein Gespräch definitiv nicht in Betracht. Die Vernehmungsräume in der zweiten Etage mit ihren Metalltischen, kahlen Wänden und großen Spiegeln waren zu beklemmend. Der Saal für die Pressekonferenzen oder einer der kleineren Konferenzräume stellten die wesentlich bessere Wahl dar.
    Schweigend fuhren sie im Fahrstuhl nach oben. Dort angekommen, traten sie in einen langen, breiten und hell erleuchteten Gang. Hunter ging voran und probierte die Tür des ersten Besprechungszimmers. Sie war unverschlossen, das Zimmer leer. Er schaltete das Licht ein und bat Olivia herein.
    »Was kann ich für Sie tun, Ms Nicholson?«, fragte er und deutete auf einen der fünf Stühle, die um den kleinen rechteckigen Tisch gruppiert waren.
    Olivia setzte sich nicht. Stattdessen öffnete sie den Reißverschluss ihrer Handtasche, zog eine Ausgabe der Morgenzeitung hervor und legte sie auf den Tisch. »Hat er mit meinem Vater dasselbe gemacht?« Ihre unteren Augenränder sahen so aus, als würden jeden Augenblick die Tränen überquellen. »Hat der, der ihn getötet hat, aus seinen Gliedmaßen auch so eine widerwärtige Skulptur gemacht?«
    Hunter ließ die Arme locker herunterhängen. Er sprach betont ruhig. »In dem Artikel geht es nicht um den Mord an Ihrem Vater.«
    »Aber um einen ganz ähnlichen Mord«, gab Olivia zurück, und ihre Stimme war scharf wie ein Messer.

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